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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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beruft, wer bist du, ihn davon abzuhalten?«
    »Ich bin sein Vater, und ich sage, keiner meiner Söhne wird der Kirche dienen.«
    »Tja, ich bin seine Mutter, und ich sage, er wird das sehr wohl tun.«
    Als sich die Krankheit verschlimmerte und er kaum noch atmen, geschweige denn streiten konnte, war keine Zeit mehr, um sich über solche Dinge Sorgen zu machen.
    Angelo war völlig an das Bett gefesselt, das sie aus zwei Ledersesseln für ihn gebaut hatten, damit er auf die Straße sehen, die Pferde und Wagen beobachten und das Hupen der Automobile hören konnte. Er machte ein tapferes Gesicht, während er auf den letzten Besuch des Priesters wartete, und starrte auf die kleine Kiste mit den Fotografien von Maria und dem Baby, das er nie gefunden hatte. Und natürlich auf den kleinen Schuh.
    Alle kannten die Geschichte des
scarpetta
, von dem Angelo überzeugt war, dass er seiner ersten Tochter gehört hatte. »Sie lebt«, sagte er oft lächelnd und winkte in Richtung Straße. »Irgendwo da draußen … meine Alessia. Ich weiß es.« Dann legte er immer die Hand auf sein Herz und erzählte erneut die Geschichte vom Untergang der
Titanic
, bis die ganze Familie jedes Detail auswendig kannte: wie er auf der Baustelle gewesen war, als die Nachricht kam, wie er an der Anlegestelle gewartet hatte, Maria und Alessia jedoch nicht aufgetaucht waren, wie er jeden Tag in die Büros der Schiffsgesellschaft White Star gegangen war und die Namen auf der Vermisstenliste überprüft hatte.
    Kathleen beruhigte ihn, wenn er vor Aufregung anfing zu husten und zu stammeln. »Wenn sie da draußen ist, wird sie dich eines Tages finden … und wenn nicht, ist sie bei den Heiligen und wartet auf dich.«
    Dann kam nach Wochen, in denen er nach und nach alle Hoffnung verloren hatte, eines Tages der Arzt mit einem Kollegen aus dem Krankenhaus, der Angelos Brust abklopfte und ihn tief durchatmen ließ. »Was er braucht, ist gute Seeluft, abseits der Stadt – oder Bergluft«, war sein Bescheid.
    Angelo lachte. »Haben wir etwa in der Lotterie gewonnen? Hier ist eine Familie, die versorgt werden will, falls Sie das nicht bemerkt haben«, schnauzte er Gianni Falcone an, einen guten Mann, der aber nicht in ihren bescheidenen Verhältnissen lebte. »Ich bin am Ende. Es ist aus mit mir. Sagen Sie es mir bitte direkt: Wie lange habe ich noch?«
    Der Mann beachtete seine Worte nicht weiter. »Sie haben Ihre Frau auf der
Titanic
verloren, jeder weiß das. Es gibt immer noch einen Fonds und die Chance, dass Sie einen finanziellen Ausgleich erhalten. Und Ihre Krankheit haben Sie von der Armee, oder? Das sind gleich zwei Punkte, die Ihnen zum Vorteil gereichen, Angelo.«
    »Ich bin doch kein Fall für die Wohlfahrt!«
    »Nein, aber hör dem Doktor doch zu«, sagte Kathleen und sah ihn aus ihren schönen, großen Augen flehend an. »Mit dem Geld könntest du wegfahren und wieder gesund werden. Wir könnten uns Medikamente leisten.«
    »Mit meiner Krankheit kann ich nicht mehr gesund werden, das haben sie mir bereits gesagt.«
    »Nun warte doch noch, bevor du deinen Sarg bestellst! Seit dem Krieg gibt es Fortschritte in der Medizin. Du hörst doch, was der Arzt sagt.«
    »Wo könnte ich denn hingehen, etwa nach Westen?«, fragte er. Ganz gegen seinen Willen keimte plötzlich wieder Hoffnung in ihm auf.
    »Noch besser, Angelo.« Kathleen wedelte mit einem Stück Papier vor seinem Gesicht. »Wie wäre es mit Italien? Die Seeluft, die saubere Luft der toskanischen Berge, eine Möglichkeit, deine Eltern zu sehen, bevor sie von uns gehen … Ich habe einen Antrag auf Sonderbeihilfe gestellt. Der Arzt wird ihn unterschreiben.«
    »Aber die Kinder … Das ist ein weiter Weg …«
    »Sie bleiben hier bei mir. Das ist deine Reise. Du bist es, der eine Kur braucht. Ich will dich nicht verlieren. Wir lieben dich.«
    Angelo spürte, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen. »Kathleen, du bist eine gute Frau.«
    Sie lächelte. »Ich weiß, aber ich brauche dich noch viele Jahre bei mir. Wir haben doch noch so viel vor. Meinst du nicht, es ist einen Versuch wert?«
    Er sah ihr ernstes Gesicht und nickte. Als alle gegangen waren, ließ er sich in die Kissen zurücksinken und weinte still. Er würde noch einmal seine alte Heimat sehen.

84
    Akron
    Für diesen wichtigsten Besuch ihres Lebens hatte Celeste sich mit besonderer Sorgfalt gekleidet.
    Sie war nervös. In den vielen Stunden im Zug hatte sie voller Angst an den Moment gedacht, da sie an den Ort zurückkehren

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