Schiff der tausend Träume
beäugten gelangweilt die Neuankömmlinge.
Dann gab es eine Art Appell, und sie wurden in Briten, Amerikaner, Franzosen und andere aufgeteilt. Es war wie auf einer Rinderranch – alle wurden in unterschiedliche Gehege getrieben. Alles, woran Roddy denken konnte, war Wasser und etwas zu essen.
Es dauerte nicht lange, da wurden sie wieder in Waggons verladen und Richtung Norden in ein anderes Lager verbracht, ein kleineres diesmal, mit herrlichem Blick auf die Berge. Die Schönheit der Aussicht wurde jedoch durch Stacheldrahtzäune, Wachposten und Gewehre verdorben, und jedem war klar, dass eine Flucht unmöglich wäre. Roddy schnappte auf, dass sie sich in der Nähe von Arezzo befänden, das für seine Fresken und mittelalterlichen Gebäude berühmt sei, aber das sagte ihm nichts. Er war froh, sich in der frischen Luft die Beine vertreten zu können, und versuchte den Gedanken zu verarbeiten, ein Kriegsgefangener zu sein.
In der Gewalt des Feindes zu sein und abhängig, was Nahrung und Unterkunft betraf, seinen Befehlen, Launen und Ideen gehorchen zu müssen, empfand er als ständige Erniedrigung. Es gab Gerüchte von Flüchtenden, die erschossen worden waren, und von Bauern, die dieses Schicksal teilten, weil sie ihnen geholfen hatten; eine aussichtslose Perspektive, die sich nicht ändern würde, solange die Alliierten nicht vordrangen und den Feind Richtung Norden aus Italien verscheuchten. Leichter gesagt als getan, wie Roddy nur allzu gut wusste.
Die Gesichter seiner Mitgefangenen sprachen Bände: sonnenverbrannt, schmal, eingefallen und mit nervösem Blick. Wie sollte er mit dem Nichtstun fertigwerden? Wie lange würde es dauern, bis man sie noch weiter in den Norden brachte, nach Österreich oder Deutschland? Er sah sich um, ob er weitere Männer aus seiner Einheit entdeckte, irgendein bekanntes Gesicht von der Überfahrt, aus dem Ausbildungslager, oder ob er den Akzent aus Akron oder Ohio hörte. Aber da war niemand.
Roddy war froh, dass er zu Hause kein Mädchen hatte, das jetzt krank vor Sorge wäre, weil er als vermisst galt. Will und seine Mutter würden es bald erfahren, das war schlimm genug. Er vertraute darauf, dass Mom ihm schreiben würde, sobald sie seine Postkarte vom Roten Kreuz bekam, auf der er ihr mitgeteilt hatte, dass er Kriegsgefangener, aber unverletzt war. Er hatte Glück gehabt. Sein Colonel lag noch immer erschossen auf dem Berg. Er würde aus Italien nie heimkehren. Was würde Roddy jetzt dafür geben, einen riesigen Lastwagen über die Highways zu fahren, als König der Straße, und an einer Raststätte Steak und Pommes frites zu essen! Will und sein Transportunternehmen kamen ihm unendlich weit entfernt vor.
Das Essen hier war irgendeine schleimige Nudelsuppe, verstärkt mit Rationen aus ihren Rot-Kreuz-Dosen. Eigenartig, wie alle Gedanken nur ums Essen kreisten, wenn man hungrig war – egal, wie kümmerlich es ausfiel! Er seufzte. Es gab so viel leere Zeit. Zeit und nutzloses Grübeln waren seine neuen Feinde.
Unter den Gefangenen wurden die wenigen Bücher, die es gab, sorgsam gelesen und weitergereicht, aber es waren meist Lehrbücher und religiöse oder klassische Literatur, nicht die Sorte Bücher, die die meisten Männer gern gelesen hätten. Aber man nahm, was man kriegen konnte; alles, was einen von der Gegenwart ablenkte, war willkommen.
Roddy war im Offizierstrakt untergebracht. Sie waren ein buntgemischter Haufen und beschrieben einander immer wieder ihre Feldzüge und Schlachten, so dass man nach ein, zwei Wochen schon alles auswendig wusste. Jeder hegte Fluchtpläne, aber ohne ein Mindestmaß an Sprachkenntnissen, das wussten alle, wäre das unmöglich. Niemand käme auch nur über das nächste Dorf hinaus. Tatsächlich hätten sie bessere Chancen, wenn sie sich als deutsche Soldaten verkleideten, da viele von ihnen groß, blond und blauäugig waren, aber dann bestand die Gefahr, dass man von Partisanen den Hals aufgeschlitzt bekam.
Es gab selbstorganisierten Unterricht in allem Möglichen – Schach, Italienisch, Hebräisch, Polnisch, Tierhaltung, Bienenzucht, Seemannsknoten und Drachensteigen. Wer spezielle Kenntnisse hatte, teilte sie mit anderen, um sie davon abzuhalten, sich aus Verzweiflung in die Umzäunung zu werfen und erschossen zu werden.
Was konnte Roddy anbieten außer Geschichten vom Lastwagenfahren quer durch die Staaten, Tipps für die besten Raststätten, Details zur Herstellung von Autoreifen oder die Geschichte der Gummiindustrie in Akron?
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