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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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er auf das Schiff. »Das macht keiner aus meiner Klasse, oder?«
    Celeste war erleichtert zu sehen, wie aufgeregt er war. »Komm, Jim Hawkins, das Abenteuer fängt an.«
    Am zweiten Tag der Reise beugte Celeste sich über die Reling, der Regen schlug ihr ins Gesicht, während die
Saxonia
durch die kabbeligen grauen Wellen glitt. Sie waren draußen auf dem Atlantik, weit entfernt vom New Yorker Hafen. Wie anders als beim letzten Mal. Das Gefühl der Erleichterung, auf dem Heimweg zu sein, war durchsetzt mit der Angst davor, sich erneut dem Meer anvertrauen zu müssen. Sie hatte versucht, nicht an ihre Albträume zu denken: schreiende Passagiere, treibende Leichen, der Anblick des mächtigen Schiffes kurz vor seinem Ende, bis es in die Tiefen hinabglitt.
    Eigenartigerweise hatte Grovers Ermittler ihre Furcht zerstreut, an Bord zu gehen. Sie mussten verschwinden, aber es bekümmerte sie, dass sie Roddy eine Menge Lügen auftischte und ihn aus seiner Heimat wegbrachte. Das Land hatte so viel, das sie immer noch mochte und achtete.
    Doch das Erlebnis auf der
Titanic
hatte ihre Einstellung zum Leben für immer verändert, dachte sie, als sie gegen die Reling lehnte. Bestimmt war es vielen Überlebenden so gegangen. Es war schwer, mit allem, was sie gesehen und gehört hatten, allein zurechtzukommen, mit den verlorenen Träumen und der Erkenntnis, wie brüchig das Glück sein konnte.
    Sie hatte sogar tuscheln hören, dass ein paar Frauen aus besseren Kreisen sich von ihren Männern hatten scheiden lassen, weil diese zuerst in die Rettungsboote gegangen waren. Das passierte, als nach der Untersuchung allen klarwurde, wie wenige der Frauen und Kinder des Zwischendecks überlebt hatten. Gerüchten zufolge hatte Bruce Ismay, der Vorstand der White Star Line, der vom Schiff in ein Rettungsboot gesprungen war, einen Zusammenbruch erlitten.
    Noch nach all den Jahren flößte ihr der Anblick des hohen roten Schornsteins, der über ihr aufragte, der am Linienschiff hängenden Rettungsboote und der Geruch nach Salzwasser und Dampf Angst ein. Diesmal aber fuhr sie Richtung Osten mit dem Ziel Liverpool, und Roddy war an ihrer Seite gewesen, als sie die Gangway hinaufgegangen waren und Celeste versucht hatte, nicht nach unten zu schauen oder sich zu erinnern …
    Diesmal gab es keine luxuriöse Kabine erster Klasse, nur einen bescheidenen Raum, kaum mehr als eine Abstellkammer, verglichen mit ihrer Unterbringung auf der
Titanic
. Das Schiff war durchaus geräumig, einfach eingerichtet, etwas mitgenommen, nachdem man es als Truppentransporter eingesetzt, aber wieder renoviert hatte. Der Geruch nach frischer Farbe jedoch wühlte Erinnerungen auf, und ihr wurde übel.
    Roddy lief begeistert hin und her, erforschte die Decks und Gänge, spielte mit ein paar anderen Jungen an Bord Verstecken. Sie wollte ihn nicht aus den Augen lassen, aber er war zu schnell, und sie merkte, dass sie Gefahr lief, mit ihrem Nörgeln seinen Trotz hervorzurufen. Daher folgte sie ihm unauffällig, nur für den Fall. Sie hatte ihn nicht den weiten Weg bis hierhergebracht, um ihn dann über Bord zu verlieren. Er spielte Fangen mit einer Gruppe anderer Jungen und achtete wie üblich nicht darauf, wohin er trat, als er über ein Tau stolperte und einen Mann in langem Tweedmantel und Filzhut umstieß, der ihm an einem Stock hinkend entgegenkam. Sie schoben sich wie eine Ziehharmonika zusammen, fielen übereinander, und Roddy schrie vor Schmerz auf. Der Mann mit Filzhut taumelte wie benommen, bevor er sich aufraffte, um Roddy zu helfen.
    »Hey, alter Knabe, alles in Ordnung?«
    Celeste sah, wie Roddy aufblickte, versuchte, nicht zu weinen, und sein Fußgelenk hielt. »Das tut weh.«
    »Lass mich mal sehen«, fuhr der Mann fort und zeigte auf das Fußgelenk.
    Celeste war im Nu an Roddys Seite, sah, wie der Mann nach seinem Stock griff, um das Gleichgewicht wiederzugewinnen. Auch er wirkte mitgenommen. »Ich bin seine Mutter. Roderick, du hast nicht geschaut, wohin du gegangen bist … Entschuldigen Sie.« Sie drehte sich um und sah sich einem Mann mit blassem Gesicht gegenüber, der lächelnd seinen Hut zog.
    »Wieder so ein Fall, mein Junge, falscher Ort, falsche Zeit«, erwiderte er. »Komm, wir schauen uns dein Fußgelenk einmal an.«
    »Sind Sie Arzt?«, fragte Celeste, als der Mann sich bückte, um den Stiefel aufzuschnüren.
    »Nein, Ma’am, aber ich habe im Krieg ziemlich viel Flickarbeit geleistet«, antwortete er, ohne sie anzuschauen, eher darauf bedacht,

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