Schiff der tausend Träume
Pfadfinderinnen, habe ich in der Zeitung gelesen. Ich gehe mit ihr ins Kino, aber dadurch blüht ihre Phantasie noch mehr auf. Ich hoffe nur, dass sie in der Schule nicht gehänselt wird, weil sie eine so gewöhnliche Herkunft hat. Manchmal klammert sie und behauptet, sie habe Bauchschmerzen und wolle nicht in die Schule gehen.
In Gedanken bin ich immer wieder beim Untergang des Schiffes, und ich höre die Stimmen, die aus den Wellen um Hilfe schreien. Mein Appetit ist nicht mehr so, wie er mal war. Sie werden mich als Bohnenstange vorfinden; wenn Sie mich nur gesehen hätten, als ich dachte, ich hätte wieder einen Funken im Leib. Alles fällt mir schwer. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Könnte ich doch nur besser schlafen, aber ich liege wach und wälze die Gedanken in meinem Kopf. Und dann habe ich morgens keine Geduld. Sagen Sie mir, ich solle mich zusammenreißen. Anderen geht es viel schlechter als mir. Bitte helfen Sie mir, dass ich einen klaren Kopf bekomme.
Ihre nachts rastlose
May
Am Morgen las sie durch, was sie geschrieben hatte, und zerriss den Bogen. So einen Unsinn wollte niemand erfahren.
58
SS Saxonia, August 1919
Roddy schaute zu dem riesigen Schiff am Kai auf. »Fahren wir damit?«
Celeste nickte und ergriff seine Hand. »Den langen Weg bis England, um deinen Großvater und Onkel Selwyn zu sehen.«
»Aber was ist mit der Schule?«
»Ich habe dem Rektor und den Eltern meiner Anstands-Schülerinnen geschrieben. Jetzt, da alle Soldaten aus dem Krieg zurück sind, wollen sie keine Frauen mehr in den Regierungsämtern. Im Herbst wirst du an eine neue Schule gehen – wir nennen es dort übrigens College …«
»Aber warum mussten wir so schnell aufbrechen?«
Die Strecke vom widerhallenden, lauten Bahnhof zum Anleger war lang gewesen, und die nächtliche Fahrt nach New York hatte sie erschöpft. Celeste war die ganze Nacht auf und ab geschritten, falls jemand sie beobachtete. Sie konnte kaum glauben, dass sie ohne Schwierigkeiten hierhergekommen war.
»Roderick, weißt du noch, dass ein widerwärtiger Mann uns verfolgt hat? Nun, hier kann er uns nicht finden.«
»Warum war er widerwärtig?«
»Das ist eine Geschichte für Erwachsene, Liebling. Eines Tages, wenn du ein bisschen älter bist, werde ich es dir erklären, aber wenn jemand dich nach deinem Papa fragt, musst du sehr höflich sagen, dass du keinen hast. Er ist im Krieg gefallen.«
»Stimmt das?«, fragte Roddy verstört.
»Du sagst einfach, dass du jetzt keinen Vater mehr hast, und die Leute stellen keine weiteren Fragen. Du darfst niemandem von unseren Angelegenheiten erzählen, weder an Bord des Schiffes noch wenn wir nach Hause kommen. Hast du das verstanden? Es ist wirklich wichtig.«
Er nickte, begriff aber eigentlich nichts.
»Oh, und noch etwas … Du musst diese zusätzliche Schwimmweste die ganze Zeit anbehalten, ganz gleich, was alle anderen sagen.«
»Das Ding ziehe ich nicht an. Es ist albern!«, sagte er und drückte ihr seine Kinderschwimmweste wieder in die Hand.
»Dann sorg dafür, dass sie immer in deiner Reichweite ist, wenn wir auf hoher See sind. Ich bitte dich aus gutem Grund«, flehte sie ihn an. »Manchmal passiert etwas wie aus heiterem Himmel.« Sie strich sich die dunklen, welligen Haare glatt und fuhr prüfend über das graue Tweedkostüm mit dem Pelzkragen. In ihrer Eile war sie ohne anständigen Hut aufgebrochen und fühlte sich nicht angezogen.
»Wie zum Beispiel?«
Celeste schaute zu den Rettungsbooten hinauf und zählte sie automatisch. »Wenn du einen Signalton hörst, lauf zu den Rettungsbooten und steig hinein. Achte nicht darauf, was sie sagen. Versprich mir …«
»Ja, Mom, aber wo werden wir wohnen? Warum haben wir es so eilig?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass wir nach Hause gehen, nach Lichfield, um deinen Großvater zu sehen, und wir werden bei Onkel Selwyn wohnen, bis ich Arbeit finde. Er wird uns aufnehmen. Du wirst meine Freundin May und ihre kleine Tochter Ella kennenlernen. Mit der kannst du spielen.«
»Muss ich das? Ich spiele nicht gern mit Mädchen. Und ich verkleide mich nicht mehr.«
»Das war nur ein Spiel. Der widerwärtige Mann hat unser Haus beobachtet, und wir mussten fort, ohne dass er uns folgen konnte.«
»Ergreifen wir die Flucht über das Meer?« Roddy schaute zu ihr auf, und sie lächelte.
»Ich denke schon, Roddy, ich habe so noch nicht darüber nachgedacht, aber ja, ich glaube, du hast recht.«
»Toll! Dann geht das klar.« Lächelnd schaute
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