Schiffsmeldungen
zu schlafen«, sagte die Tante wieder. »Viel wärmer.«
»Erzähl uns eine Geschichte, Dad«, sagte Bunny. »Du hast uns seit mindestens hundert Jahren keine Geschichte mehr erzählt. «
Sunshine stürzte auf Quoyle zu, klammerte sich an sein Hemd, schwang sich in seinen Schoß hinauf, hatte den Daumen schon im Mund, noch ehe sie an seiner Brust lehnte, wo sie das knirschende Geräusch seines Atems hören konnte, das Klopfen seines Herzens, das Gurgeln und Glucksen in seinem Bauch.
»Noch nicht, noch nicht«, wehrte Quoyle ab. »Erst putzen alle die Zähne. Waschen sich alle das Gesicht.«
»Und sprecht eure Gebete«, fügte die Tante hinzu.
»Ich kenne keins«, greinte Sunshine.
»Schon gut«, sagte Quoyle auf seinem Stuhl neben dem Bett. »Schauen wir mal. Ich erzähle euch eine Geschichte über Hämmer und Holz.«
»Nein, Dad! Nicht Hämmer und Holz! Erzähl eine schöne Geschichte.«
»Von was denn?« fragte Quoyle hilflos, als wäre der Quell seiner Einbildungskraft versiegt.
»Von einem Elch«, sagte Bunny. »Einem Elch und Straßen. Langen Straßen.«
»Und einem Hund. Wie Warren.«
»Einem netten Hund, Dad. Einem grauen Hund.«
Und so fing Quoyle an. »Es war einmal ein Elch, ein ganz armer, dünner, einsamer Elch, der lebte auf einem Felshügel, wo nur bitteres Laub wuchs und Büsche mit dornigen Ästen. Eines Tages fuhr ein rotes Auto vorbei. Auf dem Rücksitz saß ein grauer Zigeunerhund mit einem goldenen Ohrring.«
In der Nacht wachte Bunny aus einem Alptraum auf, schluchzte, während Quoyle sie hin und her wiegte und sagte: »Es ist doch nur ein schlechter Traum, nur ein schlechter Traum, es ist nicht echt.«
»Die alte Hexe hat sie erwischt«, murmelte die Tante. Aber Quoyle wiegte sie weiter, denn die alte Hexe wußte auch, wo sie ihn finden konnte. Bruchstücke von Petal in jeder Stunde der Nacht.
Warren machte Knallgeräusche unter dem Bett. Ein übler Gestank. HUNDEFÜRZE ERLEDIGEN VIERKÖPFIGE FAMILIE.
Ein Morgen voll tosendem Schnee. Überwältigendes Schnarchen hinter den Wänden. Quoyle zog sich an und ging zur Tür. Konnte den Türknauf nicht finden. Kroch herum und schaute unter dem Bett nach, im Badezimmer, im Gepäck, in den mit Bibeln vollgestopften Schubladen. Eines der Mädchen mußte ihn mit ins Bett genommen haben, dachte er, doch als sie auf waren, fand sich kein Knauf. Er hämmerte gegen die Tür, um sich bemerkbar zu machen, bekam aber nur den Zuruf: »Ruhe, verdammt noch mal, oder es setzt was vom Zimmer nebenan!« Die Tante drückte auf der Telefongabel herum, in der Hoffnung, die Leitung erwache wieder zum Leben. Tot. Das Telefonbuch war das für Ontario von 1972. Viele Seiten herausgerissen.
»Mir tun die Augen weh«, sagte Bunny. Beide Kinder hatten gerötete, verklebte Augen.
Eine Gefangenenstunde lang sahen sie dem nachlassenden Sturm und den Schneepflügen zu, donnerten gegen die Tür, riefen: »Hallo, hallo!« Beide Plastikpinguine waren kaputt. Quoyle wollte die Tür einschlagen. Die Tante schrieb eine Nachricht auf einen Kissenüberzug und hängte ihn ans Fenster. HILFE. SIND IN ZIMMER 999 EINGESPERRT.
Der Mann vom Empfang öffnete die Tür. Schaute sie mit Augen wie Rücklichter an.
»Sie brauchen bloß den Alarmknopf zu drücken. Dann kommt sofort jemand.« Zeigte auf einen Schalter unter der Decke. Griff nach oben und legte ihn um. Schrilles Gerassel drang durch das Motel und löste allgemeines Wandgehämmere aus, bis das Gebäude bebte. Der Mann rieb sich die Augen wie ein Fernsehschauspieler, der ein Wunder erlebt.
Der Sturm hielt noch einen Tag an, Winde kreischten, peitschten die Hauptverkehrsstraße entlang.
»Ein Sturm ist ja ganz schön, aber das hier reicht jetzt«, sagte die Tante, der nach einem Zusammenprall mit dem Leuchter über einem Ohr die Haare herunterhingen, »und falls ich jemals wieder aus diesem Motel rauskomme, dann führe ich ein gutes Leben, gehe regelmäßig zur Kirche, backe zweimal in der Woche Brot und lasse nie das schmutzige Geschirr stehen. Ich werde niemals mit nackten Beinen ausgehen, also hilf mir, laß mich einfach hier raus. Ich hatte vergessen, wie es ist, aber allmählich fällt’s mir wieder ein.«
In der Nacht schlug das Wetter in Regen um, der Wind kam von Süden, warm, mit einem Geruch nach sahniger Milch.
7
Gammy Bird
Die gemeine Eiderente wird in Neufundland wegen ihrer Gewohnheit, sich in Schwärmen zu gemütlichen Schnatterrunden zusammenzufinden, gammy bird genannt. Der Name geht
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