Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
Vom Netzwerk:
bekam ihn an Bord. Billy sagte nichts, manövrierte das gedrosselte Boot durch die blinden Klippen.
    Der Koffer war schwarz vom Meerwasser. Teuer aussehend, aber mit einem Seilgriff. Er hatte etwas an sich. Quoyle versuchte es an den Riegeln, aber sie waren verschlossen. Der Nebel kam über sie, dicht, löschte alles aus. Sogar Billy hinten im Boot wurde blaß und unkörperlich. Ziellos, kein Horizont am Himmel.
    »Bei Gott, Quoyle, du bist ein Wracker! Du bist ein echter Quoyle mit deinem Fischhaken da.«
    »Er ist abgesperrt. Wir müssen ihn aufstemmen, wenn wir zurück sind.«
    »Das kann ’ne Weile dauern«, sagte Billy. »Wir müssen uns reinschnüffeln. Sind noch über den Felsen. Wir tasten uns einfach entlang, bis wir sie hinter uns haben.«
    Quoyle strengte seine Augen an, bis sie weh taten, und sah nichts. Unbehagen ergriff ihn, die schleichende Furcht vor dem Unsichtbaren. Das gespenstische Unbekannte, gefärbt mit Gedanken an Piraten-Quoyles. Vorfahren, deren verderbtes Blut in seinen Adern rann, die die Schiffbrüchigen mordeten, ihre ungewollten Bälger ertränkten, kämpften und brüllten, die Bärte zu Zacken geflochten, brennende Kerzen ins Haar gesteckt. Spitze Stöcke, im Feuer gehärtet.
    Steuerbord voraus drohte ein Felsen, ein großer Turm im wirbelnden Dunst.
    »Aha, genau richtig. Is’ der Heimatfelsen. Jetzt sind wir auf gerader Bahn. Bald können wir den Rauch von Killick-Claw riechen und uns an ihm entlang reinschnüffeln.«
    »Billy, den Heimatfelsen haben wir auf dem Weg zur Insel gesehen. Er war nur ein niedriger Felsen, kaum einen halben Meter über dem Wasser. Das Ding ist riesig. Es kann nicht derselbe Felsen sein.«
    »Doch, doch. Er ragt jetzt nur ein bißchen höher heraus, weil Ebbe ist und er im Nebel liegt. Der Nebelschatten läßt ihn dir größer vorkommen. Es is’ ’ne optische Täuschung, der gute alte Nebelschatten. Da wirkt ein Dory wie ein Öltanker.«
    Das Boot tuckerte durch die blendende Weiße. Quoyle umklammerte die Dollborde und verzweifelte. Billy sagte, er könne die Kamine von Killick-Claw riechen, noch fünfzehn Meilen übers Wasser, und noch etwas, etwas Verwestes und Fauliges.
    »Der Gestank gefällt mir nicht. Wie ein angespülter Wal in der dritten Woche bei heißem Wetter. Es scheint immer stärker zu werden. Vielleicht treibt ein toter Wal im Nebel. Horch auf die Glockenboje, die den Widder und das Lamm markiert. Bei dem Nebel können wir die Einfahrt leicht verfehlen.«
    Nach knapp einer Stunde sagte Billy, er höre die Küstenbrandung, das Brechen der Wellen auf Stein, und dann tauchten in der Düsternis des Nebels und der hereinbrechenden Nacht ein paar nadelförmige Felsen auf.
    »Oje«, sagte Billy Pretty. »Das sind die Stricknadeln. Wir sind ein Stück östlich von Killick-Claw. Aber nicht weit von Desperate Cove. Was meinst du, sollen wir hier an Land gehen und warten, bis der Nebel sich verzieht, ehe wir die Küste zurückfahren? In Desperate Cove gab’s früher ein gutes, kleines Restaurant. Sehen wir mal, ob ich noch weiß, wie man reinkommt. Zu Wasser bin ich nicht mehr hierhergekommen, seit ich ein Junge war.«
    »Um Himmels willen, Billy, die Gewässer hier sind voller Felsen.« Wieder tauchte eine schäumende, schwarze Masse aus dem Nebel auf. Aber Billy kannte seinen Weg anhand eines Reims aus der alten Zeit, als die armen Männer nach dem Gedächtnis segelten, ohne Seekarten, Kompaß und Lichter.
    Liegen die Stricknadeln dir voraus,
    Siehst von Desperate Cove im Westen du ein Haus.
    Gleich hinter den Nadeln steure dann,
    Bis erscheint der Schuh vom Alten Mann.
    Die Fahrrinne liegt jetzt nach dem großen Zeh,
    Fahr durch die Enge langsam, tu dir nicht weh.
    Der alte Mann umschiffte die Stricknadeln und tastete sich an Strömung und saugender Ebbe entlang.
    »Es gibt ein Dutzend Tricks, um den Weg zu finden – auf die Küstenbrandung hören, rufen und das Echo von den Kliffs hören, den Lauf der Strömung unter sich spüren oder die verschiedenen Gerüche der einzelnen Buchten riechen. Mein Dad konnte einhundert Meilen Küste am Geschmack in der Luft bestimmen.«
    Ein Felsbuckel, das Geräusch schmatzenden Wassers, dann ein langsames Tuckern entlang eines zerklüfteten Felsgrats. Erstaunt hörte Quoyle eine Autotür zuschlagen, hörte den Motor starten und das Fahrzeug davonbrausen. Er konnte nichts sehen. Aber einen Moment später war ein Schein an einer Stelling zu erkennen, und Billy drehte bei, stieg aus und schlang die Anlegeleine

Weitere Kostenlose Bücher