Schiffstagebuch
und man befürchtete, das spanische Heer würde sich über sie hermachen, und die Indios sollten denken, den Spaniern seien Frauen gleichgültig; dieser zwei Frauen erinnert man sich bei Indios und Spaniern sehr lebhaft, weil sie außerordentlich schön waren und man sie so grausam umgebracht hatte.«
Wer waren die Maya? Bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hinein waren die Europäer sich sicher: ein Volk, das von den Juden abstammte, die auf irgendeine Weise nach Mittelamerika gelangt waren, als wären sie einem Moses durchs Rote Meer gefolgt. 1839, 1840, 1841 und 1842 unternehmen John Lloyd Stephens, ein Rechtsanwalt und Diplomat,und der Zeichner und Architekt Frederick Catherwood zu Fuß ein paar lebensgefährliche, Monate dauernde Reisen in den Dschungel von Guatemala und Yucatán, auf denen sie von Malaria, Schlangen und Skorpionen heimgesucht werden. Sie bahnen sich mit Macheten einen Weg durch den Urwald zu den großen Ruinen der bereits Jahrhunderte zuvor untergegangenen Kultur der Maya. Daß diese Ruinen dort lagen, war bekannt, doch Catherwood sollte der erste sein, der im Zeitalter vor der Erfindung der Fotografie die majestätischen, vom Urwald halb überwucherten Relikte zeichnete, die unmenschlich hohen Treppen, die Skulpturen mit den grausamen Göttergestalten, die rätselhaften Reliefs, die sich erst soviel später als Sprache offenbaren sollten, wie auch erst später klar wurde, welch geniale astronomische Kenntnisse die Maya besessen und welche Rolle diese in ihrer großartigen Architektur gespielt hatten.
Säulen, Friese, Kragsteine, ineinander verschlungene geometrische Verzierungen, trotz seiner stets wiederkehrenden Malaria hat Catherwood sie auf
mehreren Reisen für immer festgehalten, und als ich jetzt selbst in Uxmal und in Chichén Itzá stehe, versuche ich mir vorzustellen, welchen Anblick sie im
Jahr 1840 geboten haben mögen. Es sind dieselben Ruinen, gewiß, und auch heute noch wird man förmlich von ihnen erschlagen, aber es gibt auch Schilder und
Hinweise, Absperrgitter und Öffnungszeiten, Wächter und Verkäufer. Ich brauche mir meinen Weg nicht durch den Urwald freizuhauen, denn der ist
verschwunden. Heiß ist es, unbestritten, ich komme durch verwahrloste Dörfer, esse in unbeschreiblich armseligen Buden am Straßenrand, doch in der Nähe
der großen Tempelanlagen ist alles auf Touristen ausgerichtet, und die sind da. Sie ziehen gehorsam an Treppen, Palästen und Galerien
kolossalen Ausmaßes vorbei, blicken in die Gesichter von Kriegern, Königen, Besiegten, Schlangen und Göttern und wissen, wie ich, daß man ein halbes Leben
brauchte, um zu verstehen, was sich hier abgespielt hat. Menschen mit dem gleichen Gehirn und vom selben Planeten hatten vor über tausend Jahren eine
völlig andere Kosmogonie erdacht, ebenso rational oder irrational wie die unsere, in der eine pyramidenförmige, hierarchische und in gewisser Weise auch
kommunistische Gesellschaftdurch ein religiöses System zusammengehalten wurde, in dem Menschenopfer ihren Platz hatten.
Uxmal
Unwillkürlich beschleicht einen nach der Lektüre von de Landas Bericht die Frage, ob ihm wohl die Parallele zwischen den zur Buße dargebrachten
Menschenopfern und dem stellvertretenden und freiwilligen Sühneopfer seines eigenen Gottes am Kreuz aufgefallen ist? Und wie ist der steinerne Ring für
das Ballspiel einzuordnen, der in Chichén Itzá hoch oben aus der Mauer ragt? Man steht in dem langen, jetzt leeren Geviert dessen, was einst ein Spielfeld
war, und stellt sich das Gerenne und Geschrei der beiden Mannschaften vor, die beide versuchen, den Gummiball durch dieses steinerne Loch zu schlagen. Man
sieht, ohne sie zu sehen, die Zuschauer, die Freunde oder Verwandte gewesen sein mögen, man projiziert die Bilder, die man bei Catherwood und im Museum
kennengelernt hat, auf die jetzt so leeren Plätze ringsum, die Aufmachung und Haltung von Adligen und Priestern, die grellbunten Federn auf ihren Köpfen,
ihren goldenen Schmuck – doch währenddessen weiß man, daß die Verlierer des Spiels nach dem Wettstreit geopfert wurden und daß dies eine ehrenvolle Weise
war, zu sterben. Auf einem der Reliefs ist es dargestellt, zwei Sieger töten einen Verlierer, während ein grausamer Gott aus dem Himmel
herabsteigt. Diesen Gott gab es aber nicht, genausowenig wie Hermes, Baal, Mithras und den Teufel. Phantasie erschafft stets neue und wieder
verschwindende Wirklichkeiten. Doch während der
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