Schiffstagebuch
Madagaskar, wir müssen schon Stunden an der Küste entlanggefahren sein, denn dies ist die Südostspitze, an der wir eigentlich anlegen sollten, Port Dauphin. Das große Schiff fährt langsam, schaukelt heftig. Die Küste steinig, trocken, Sand, in der Nähe des Hafens als Warnung ein verrostetes Wrack. Ein Pier, ein paar niedrige Gebäude, ein Kran. Im Wasser sehe ich ein schmales, langes Holzboot mit Ruderern, die gegen die Wellen ankämpfen. Und hundert Meter weiter nochmals gut zwanzig dieser Boote, eine Phalanx, die zerbrechlichen Gefährte dicht beieinander. Ich sehe, wie sie hochgehoben werden, am Wellenberg schräg abwärtsgleiten, für einen Augenblick unsichtbar werden und dann wieder auftauchen. Die Männer müssen mit aller Kraft rudern, um nicht noch weiter vom großen Schiff abgetrieben zu werden. Die am weitesten entfernten sehen aus wie Hieroglyphen, wettergegerbte Männer und Jungen, dunkel sich abzeichnendgegen das Weiß der Schaumkronen. Ihre Boote: ausgehöhlte Baumstämme. Zweifache Enttäuschung, die der Ruderer und die der Passagiere. Wir werden nicht an Land gehen, der Sturm ist zu heftig. Der Hafen sieht schäbig aus, eine Lagerhalle, ein altes Auto. Hier herrscht Armut. Für die Männer hätten wir Geld bedeutet, für uns bedeutet es, daß wir das Land, den kleinen armseligen Ort, nicht riechen, die Sprache nicht hören werden. Doch das Bild wird mir als Vergleich, als Parabel in Erinnerung bleiben, die Unmöglichkeit einer Begegnung. Das hohe, mächtige Schiff und die verbissen rudernden Männer, die sich immer weiter von ihm entfernen. Die vorbeifliegenden Wolken, das weiße Licht des Morgens glänzend in der blauschwarzen Ölfarbe der wilden Wogen. Langsam geraten die Hügel außer Sicht, die Böen peitschen die Passagiere nach drinnen. Die Männer in ihren Einbäumen rudern an Land, eine kleine Flotte, die vom Sturm in den Hafen zurückgejagt wird, der Verdienst einer Woche verflogen im Wind.
IV. Stellenbosch. Januar, Hochsommer. Eine verkehrte Welt, niederländische Häuser in den Tropen, weiß verputzt, hinter
wollüstigen Hortensien. Eine Zeitung, die ich mit einiger Mühe lesen, Sprache, die ich verstehen kann. Von allen Seiten Musik, ein Umzug mit hohen Wagen,
ein gigantisches Schwein aus rosaroten Azaleen, Singen und Rufen, der Festtag der Universität. Hunderte weißer Studenten, ist dies Afrika? Sie sitzen da,
hoch und blond, singen und trinken Bier. Zwischen den Wagen eine kleine schwarze Band, farbige Männer in farbigen Kleidern, die auf Tamburine
schlagen. Auf dem Bürgersteig Wahlplakate: Stop ANC Racism . Bin ich, wo ich bin? WievielGeschichte muß ich hinunterschlucken, wenn ich so ein Plakat lese? Jemand erzählt mir, daß es zwanzigtausend weiße Studenten in Stellenbosch gibt. Ich sehe die Freude auf all diesen jungen Gesichtern – in was für einem Land müssen sie alt werden? Kann es hier bleiben, wie es ist? Muß der ANC nicht seine Versprechen einlösen, seine Anhängerschaft belohnen, mit Bildung, mit Arbeit? In Simbabwe sind die weißen Farmer enteignet worden, und das hatte entsprechende Folgen. Hunger, Land, auf dem nichts mehr wächst, galoppierende Inflation. Doch die afrikanischen Nachbarn wenden sich nicht von Mugabe ab. Kann so etwas auch hier passieren? Unter allem schlummert eine gewalttätige Vergangenheit, die jetzt und hier unsichtbar zu sein scheint, verborgen unter dem Balsam einer Aussöhnungskommission, einer öffentlichen Beichte ohne Strafe. Das Land hat gegenwärtig andere Sorgen, Gewalt, Aids, Arbeitslosigkeit, einen Präsidentschaftskandidaten, der erst wegen Korruption, dann wegen Vergewaltigung unter Anklage gestellt wurde. Doch vorläufig funktioniert es.
Rings um die Stadt die Weinberge mit den poetischen Namen in meiner Sprache, Land, das sich seit Jahrhunderten in den Händen von Weißen befindet. Wein ist Tradition, überliefertes Wissen. Die Landschaft fließend wie die elysischen Gefilde, grüne Hügel, eine Provence, eine Toskana. Die ältesten Weinstöcke stammen aus der Zeit van Riebeecks, Ende des siebzehnten Jahrhunderts. In den Restaurants, die zu den Weingütern gehören, ist die Kundschaft meist weiß, die Bedienung schwarz, die Küche international. Ich lese The Zimbabwean . In London kostet die Zeitung 50 Pence. In Südafrika zweieinhalb Rand, in Simbabwe 50.000 Simbabwe-Dollar – jedenfalls, als ichzum letztenmal dort war. Wieviel es jetzt sind, weiß ich nicht, vielleicht eine halbe Million. Von meinen
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