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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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wollte lediglich verhindern, dass ein alter Mann sein Gesicht verliert.«
    »Ich weiß.«
    »Komm, Liebes. Es ist eine wundervolle Nacht, der Mond scheint. Wir fahren mit dem Segelboot raus, vertreiben die Hirngespinste. Was hältst du davon?«
    »Ich weiß nicht. Was ist, wenn die beiden aufwachen?«
    »Keine Bange, wir sind in ein paar Stunden wieder da. Findest du nicht, dass wir das Risiko eingehen sollten, wenn wir dadurch unsere Ehe retten?«
    »Ich denke schon …«
    Quinn zitterte, als sie daran zurückdachte. Da sie in der letzten Nacht nicht in ihrem Bett geschlafen hatte, fühlte sie sich wie gerädert. Nachdem Grandma ihr eine Standpauke gehalten hatte, hatte sie ihre Taschenlampe genommen und sich hierher verzogen, um Tagebuch zu schreiben. Danach hatte sie sich, statt heimzugehen, auf der
Mermaid
zusammengerollt und war eingeschlafen. Unter dem Sternenhimmel, mit den anbrandenden Wellen am Strand, hatte sie sich ihrer Mutter so nahe gefühlt wie seit einem Jahr nicht mehr.
    Als sie aufgewacht war, stand ihr Plan fest; der Gedanke war ihr im Traum gekommen: Sie würde das Segelboot nehmen. Sie würde sich zum Haus schleichen, die Segel holen und mit der
Mermaid
lossegeln, weit weg, zu einer Insel direkt hinter dem Horizont.
    Sie hatte ihren Plan in die Tat umgesetzt. Das Tagebuch hatte sie bei sich in seiner doppelten Plastikhülle, um unbeschadet die Wellen zu überstehen, die ins Boot schwappen könnten. Quinn musste nur noch das Geschenk dalassen …
    »Stolpere nicht, Grandma«, ertönte Allies Stimme auf dem Waldweg. »Pass auf, da ist eine Wurzel.«
    »Lauf schon voraus, Allie«, rief Grandma. »Sieh nach, ob sie da ist, ja? Meine Hüfte spielt nicht mehr mit.« Maggie bellte vor Freude, dass sie auf einem Waldweg ohne Leine herumlaufen durfte. Sogar ein Shar-pei vernahm offenbar den Ruf der Wildnis.
    Beim Geräusch von Allies Schritten glitt Quinn wie der geölte Blitz von ihrem Felsen. Sie zog ihre Habe zu sich herab, schob sie in ein trockenes Wasserloch am Strand. Am Fuß des Felsens kauernd, hörte sie, wie sich ihre Schwester näherte, sich flüchtig umsah und wieder zurückrannte. Maggie machte Anstalten, Quinn in ihrem Versteck aufzustöbern, aber Allie packte den Hund und nahm ihn auf die Arme. »Nicht, Mag. Du wirst nass und schmutzig in dem Seetang.« Quinns Augen füllten sich mit Tränen beim Klang von Allies leiser, atemloser Stimme.
    »Hier ist sie nicht, Grandma«, rief Allie. »Lass uns lieber nach Hause zurückgehen und auf dem Hügel warten.«
    »O Gott, ich mache mir solche Sorgen. Ich hoffe, dass sie dort ist.«
    Quinn weinte. Sie wusste, dass sie ihre Großmutter vermissen würde, aber mehr noch ihre Schwester. Sie würde ihre blonden Haare vermissen und ihre wachen Augen, die Art, wie sie am Daumen lutschte und ihre Locken zwirbelte, und die Grimassen, die sie schnitt, um ihre Schwester zum Lachen zu bringen. Quinn würde sogar die Affenliebe vermissen, mit der sie an Kimba hing, diesem blöden Katzenvieh.
    Was sie nicht vermissen würde, war, dass Allie sich einbildete, sie wüsste als Einzige, dass ihre Mutter weiße Blumen mochte. Als Quinn sicher sein konnte, hundertprozentig sicher, dass sie alleine war, griff sie in die Segeltasche und holte das Geschenk heraus.
    Sie ließ es immer am Strand zurück, jeden Tag, für die Meerjungfrauen, die im Sund schwammen und ihre Netze aus dem Mondlicht über Hubbard’s Point spannen. Aber noch mehr war das Geschenk – jeden Tag eines, was immer gerade blühte – für ihre Mutter bestimmt. Eine einzelne weiße Blume.
    »Für dich, Mommy«, flüsterte Quinn nun und legte die weiße Lilie in das stille Wasser und sah zu, wie sie auf der Oberfläche, unter dem wolkenlosen blauen Himmel, in Richtung Hunting Ground trieb. Sie würde bald dort sein. Sie würde der weißen Blüte folgen, auf den Spuren ihrer Mutter, und mit der
Mermaid
zu dem Ort segeln, an dem sie ihre Aufgabe zu erfüllen hatte.

[home]
    23
    D as Unwetter schien Sams VW -Bus vom Henry Hudson Parkway bis zum Connecticut Turnpike zu folgen. Die Straße, die vor ihnen lag, war trocken, die hinter ihnen liegende Wegstrecke war überschwemmt. Solche Sturmtiefs, typisch für den Sommer, zogen oft völlig unverhofft herauf. Der Rundfunk berichtete über Verspätungen auf den Flughäfen und sintflutartige Regenfälle; in Lincroft, New Jersey, und Windsor Locks, Connecticut, waren Wirbelstürme gemeldet worden.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Sam.
    »Du meinst

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