Schilf im Sommerwind
Algenkruste überzogen. Dana legte Schaber, Drahtbürsten und Schutzmasken aus Papier griffbereit und fand eine noch ungeöffnete Dose Holzschutzanstrich für den Schiffsboden.
Hinter dem Anhänger standen ein Sack mit Anmachholz und eine Papiertüte mit Sprudeldosen. Dana stellte beides weg, dann räumte sie verschiedene Regale und Gartenutensilien um. Sie richtete einen umgekippten Blumentopf auf und lehnte Marks Angelrute an die hintere Wand. Mehrere Köder hingen locker an einem Haken, der in einem der Holzbalken steckte. Sie nahm sie ab, um sie in der Angelkiste zu verstauen.
Die Kunststoffbox war zugesperrt.
Seltsam. Niemand machte sich die Mühe, eine Angelkiste abzuschließen. Was bewahrte man schon darin auf – rostige Haken, abgenutzte Leitschnüre für die Angel, Senkblei? Dana rüttelte an dem kleinen Messingschloss, bewegte den Schließhaken. Vielleicht hatte Mark verhindern wollen, dass sich die Mädchen an den Angelhaken verletzten. Wäre sehr umsichtig von ihm gewesen. Oder er hatte einen neuen Platz gefunden, um wichtige Dokumente sicher zu verwahren, wie die Schenkungsurkunde für das Haus. Das wiederum wäre eine originelle Idee gewesen.
Dana rückte dem Verschluss heftiger zu Leibe. Sie zerrte mit aller Kraft daran, begutachtete das Vorhängeschloss. Interessant. Da ihre Neugierde geweckt war, nahm sie die Kiste rundum in Augenschein wie ein Weihnachtsgeschenk. Sie schüttelte sie. Dennoch ging das Schloss nicht auf. Gedankenverloren und in der Gewissheit, dass sie sich später aufs Neue damit befassen würde, stellte Dana die Kiste wieder an ihren Platz und hängte die Köder dahin zurück, wo sie sie gefunden hatte.
Kurz darauf traf Sam ein. Er trug ebenfalls Arbeitskleidung: ein altes T-Shirt und Shorts mit Schmierflecken, ein Relikt der unverkennbar kalkigen, marineblauen Anstrichfarbe, die man für Schiffsboden zu verwenden pflegte.
»Hallo, sieht so aus, als hättest du das nicht zum ersten Mal gemacht«, begrüßte sie ihn.
»Ich streiche mein Boot jedes Frühjahr. Das ist bei mir zum Ritual geworden.«
Dana bot ihm Kaffee an, aber er lehnte dankend ab, sagte, er habe unterwegs angehalten und bereits eine Tasse getrunken. Sie begaben sich schnurstracks an die Arbeit und setzten die weißen Schutzmasken auf, auch für das Abkratzen der Rankenfußkrebse und Algen, die sich am Rumpf angesammelt hatten. Die Anstrichfarbe war die giftigste, die es gab, aber auch die beste, um künftigem Befall vorzubeugen. Als Dana über den Rand ihrer Maske zu Sam hinüberspähte, sah sie Knitterfalten vom Schlaf auf der einen Seite seines Gesichts.
»Hast du gut geschlafen?«
Sams Augen strahlten, als er sie über seine Maske hinweg ansah. Sein Blick löste eine Welle von Gefühlen in ihr aus, und sie lächelte ihn an. »Ja, danke. Und du?«
»Ich auch. Ich weiß nicht, warum, aber in diesem alten Haus schlafe ich wie ein Murmeltier.«
»Weil es dein Elternhaus ist?«
»Möglich.« Sie kratzte verbissen weiter. »Es birgt viele glückliche Erinnerungen.«
»Zum Beispiel?«
Während Dana arbeitete, kehrten ihre Gedanken in die Vergangenheit zurück. Es gab unendlich viele Erinnerungen. Manche waren bruchstückhaft, andere so klar und deutlich in ihrem Gedächtnis verhaftet wie der Vollmond am Himmel. »Hm, mal sehen. Zum Beispiel der Tag, an dem Lily und ich das Boot kauften. Unser Vater fuhr uns zum Old Mystic; wir bezahlten es mit unserem selbst verdienten Geld, und sobald wir zu Hause waren, ließen wir es zu Wasser. Es war ein wunderbarer Tag im Juli, und der Wind war ideal zum Segeln.«
»Wie lange ist das her?«
»Lange, sehr lange«, murmelte sie durch die Maske. »Lily und ich waren damals jünger als Quinn und Allie.«
Sie arbeiteten eine Weile schweigend, dann trafen sie auf der Rückseite des Bootes zusammen. Dort, auf dem Querbalken, befand sich das Emblem, die Meerjungfrau mit den beiden Schwanzflossen. »Dein ›Markenzeichen‹. Wie ich sehe, hast du damals schon Meerjungfrauen gemalt.«
»Könnte man wohl sagen. Aber nicht nur ich – die eine Hälfte stammt von Lily.«
»Keine Angst, sie bleibt unangetastet. Wir streichen einfach drum herum.«
Dana warf ihm verstohlen einen Blick zu. Sie dachte daran, wie die Dinge im Leben kamen und gingen. Lilys Leben hatte sich hier abgespielt, in dem Haus und dem Schuppen. Danas Herz war schwer, als sie an dem alten Boot arbeitete. Sam schien es zu spüren, reagierte sehr einfühlsam auf ihre und Lilys Geschichte. Sie legte den
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