Schilf im Sommerwind
Leihbücher ins Auto stieg, fuhr rückwärts die Zufahrt ihres Hauses hinunter und rief ihr durch das heruntergekurbelte Fenster einen Gruß zu, bevor sie davonbrauste.
»Nette Nachbarn«, sagte er.
»Hier kennt jeder jeden.« Sie arbeitete sich mit dicken, gleichmäßigen Pinselstrichen langsam voran.
»Wie früher in Newport. Weißt du noch?«
»Ich war nur zweimal dort, während der Sommermonate, aber – ja, stimmt, ich erinnere mich. Ein hübscher Ort, der viel zu bieten hatte, ideal für jemanden, der ein Boot besaß.«
»Ich hatte aber kein Boot.«
»Ich auch nicht. Ich habe nur Segelunterricht gegeben. Aber nach Feierabend waren wir oft am Bannister’s Wharf, wo man Leute aus aller Welt traf.«
»Ich habe dich dort gesehen.« Sam spähte über den Bootsrand. »Meine Mutter arbeitete auf dem Kai nebenan. Sie musste oft Überstunden machen, und an dem Abend wartete ich auf sie und vertrieb mir die Zeit mit einem Spaziergang. Du warst mit Lily im Black Pearl.«
»Ich hoffe, wir haben uns anständig benommen.« Sie stellte sich das Nachtcafé vor, in dem immer Trubel herrschte.
Er lachte. »Ihr standet im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wart von Männer umringt. Ich weiß noch, dass ich hoffte, ihr würdet sie nicht auffordern, an eurem Segelkurs teilzunehmen, und mich abservieren.«
»Hast du wirklich geglaubt, dazu wären wir in der Lage?«
»Ich war mir nicht sicher. Dass ich in eurem Kurs gelandet war, kam für mich einem Wunder gleich.« Er beugte sich vor, strich mit verbissener Konzentration. »Du darfst nicht vergessen, dass ich arm war; die anderen Kinder besuchten Eliteschulen, waren mit einem goldenen Löffel im Mund geboren. Ich habe euch nie vergessen, dass ihr mich in euren Kurs aufgenommen habt.«
»Für uns warst du ein Schüler wie alle anderen. Deine Herkunft war mir egal, und Lily auch.«
»Ich weiß. Das rechne ich euch hoch an. Aber als ich dich mit diesen geschniegelten Typen im Black Pearl sah, dachte ich, das war’s. So schnell, wie du vom Boot fliegst, kannst du gar nicht schauen …«
»Unsinn. Sie hatten keine Chance, deinen Platz einzunehmen.« Dana war mit einigen Seglern aus Newport ausgegangen, aber keiner von ihnen war ihr Typ. Schon damals hatte sie, trotz ihrer Jugend, die Malerei ernst genommen und nicht nur Spaß an lauen Sommerabenden im Kopf gehabt.
»Da bin ich aber froh. Ich hätte nämlich darum gekämpft, bleiben zu dürfen – der Unterricht hat mir sehr viel bedeutet.«
»Es gab nichts zu kämpfen. Du weißt doch, ich konnte dir nicht widerstehen, Sam.« Sie lachte und entspannte sich, als sie daran dachte, wie viel Spaß sie damals miteinander gehabt hatten. Es tat gut, ein wenig zu flirten. Seit sie sich vor sechs Monaten von Jonathan getrennt hatte, war sie auf der Hut, aber was ließ sich gegen ein harmloses Geplänkel einwenden? Als sie den Blick hob, sah sie, dass Sam aufgehört hatte zu streichen.
Seine Augen blickten aufmerksam über den Rand der Maske, als warte er gespannt darauf, dass sie fortfuhr.
»Was ist?«, fragte sie.
»Ich war nur eine Hafenratte.«
»Aber die netteste der Welt.« Ihr Blick wurde abermals von seinen breiten Schultern angezogen. Sie verstand nicht, warum seine Miene plötzlich ernst wurde.
Er zog die Maske vom Gesicht. »Es gab eine Zeit, da hätte ich einen Mord begangen, um das aus deinem Mund zu hören.«
»Mit acht Jahren?« Sie nahm ebenfalls ihre Maske ab und lächelte. »Ich glaube, du hättest es gar nicht registriert. Für dich gab es nur eines auf der Welt, segeln lernen – so schnell wie möglich.«
»Nicht mit acht Jahren. Aber als ich älter war und ihr in Martha’s Vineyard lebtet.«
Dana sah ihn überrascht an. Woher wusste er denn das? Sie dachte an Jonathan, der ihr gestanden hatte, dass er sie auf dem Kai gesehen, auf dem Markt beobachtet hatte. Sams Worte erinnerten sie an Jons Verführungskünste, und plötzlich hatte sie das Gefühl, wieder aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Die Mädchen näherten sich auf ihren Rädern in vollem Tempo dem Schuppen, die Luft sirrte hinter ihnen. Quinns Korb war randvoll mit Hotdog-Würstchen und gelbem Senf bepackt. In Allies stapelten sich Pappteller und Servietten.
»Tante Dana, Mr. Porter aus dem Laden hat uns eine Flasche Ketschup geschenkt, weil wir so viel gekauft haben, als Glücksbringer.«
»Das hat er damals auch schon gemacht, als eure Mutter und ich den Hotdog-Stand hatten.«
»Ihr verkauft Hotdogs?«, fragte Sam.
»Ja, morgen«,
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