Schilf im Sommerwind
sie nicht. Sie klang nicht so, als sei sie aufrichtig gemeint. Es war ein gutes Gefühl gewesen, als sie Sam zu Hause vorgefunden hatte, der beim Streichen des Bootes half. Seine Anwesenheit wirkte ausgleichend, als einziger Mann in einem reinen Frauen-Haushalt. Grandma hatte nie Männerbesuch gehabt, als sie bei ihnen gewohnt hatte, und Tante Danas Freund Jonathan – wer immer das auch sein mochte – war weit weg in Frankreich. Abgesehen davon war Sam der Einzige, der Quinn helfen konnte.
»Möchtest du eine Tasse Tee?«, fragte Tante Dana und legte Quinn den Arm um die Schultern. »Wir können uns ans Fenster setzen und darauf warten, dass der Regen nachlässt.«
»Nein danke.« Quinn versuchte zu lächeln. Noch länger warten, dachte sie. Ein weiterer Tag, bis sie Geld verdienen konnte, um Sam zu bezahlen. Ein weiterer Tag, um auf ihre Antwort zu warten. Sie wartete nur darauf, dass Tante Dana den Raum verließ, dann rannte sie in den Regen hinaus, zum Little Beach, und setzte sich auf ihren Felsen.
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10
H erein!«, rief Dana, als sie ein Klopfen an der Tür hörte. Sie saß im Wohnzimmer und schrieb gerade einen Brief, als Marnie eintrat, in einem triefenden gelben Regenmantel. Sie blieb an der Schwelle stehen, um nicht auf den Fußboden zu tropfen.
»Ist schon okay«, sagte Dana. »Bei all den nassen Badeanzügen, die dieses Haus im Laufe der Jahre verkraften musste, kommt es auf die paar Tropfen mehr oder weniger auch nicht mehr an.«
Marnie lachte, schüttelte sich wie ein nasser Hund und hängte ihren Regenmantel an einen Haken neben dem gemauerten Kamin. »Stimmt. Ganz zu schweigen davon, dass wir hier dauernd mit sandigen Füßen hereinmarschiert sind und nasse Flecken auf den Kissen hinterlassen haben, wenn wir saßen …«
»Ich habe mich bei dir zu Hause revanchiert. So ist das nun mal, wenn man am Strand wohnt …«
»Wir können von Glück sagen, dass es noch solche Häuser gibt.« Marnie blickte sich in dem Raum um, betrachtete die vom Salz nachgedunkelte Wandtäfelung und die alten Korbmöbel.
»Und Großeltern, die sie erbaut haben.«
»Und atemberaubende junge Seebären in durchgeschwitzten T-Shirts, die alte Anstrichfarbe abkratzen. Wer war denn dieser Adonis?«
»Adonis?«
»Ja, der blendend aussehende und im Übrigen äußerst faszinierende Mann, mit dem du das Boot gestrichen hast, wie ich nicht umhin konnte, zu bemerken.«
»Oh.« Dana wurde rot. »Das war nur Sam.«
»Nur Sam? Dieses Prachtexemplar?«
»Ich kenne ihn schon lange. Er war einer unserer Segelschüler – das ist ewig her.«
»Was ist falsch an ›ewig‹? Da hat man doch Gemeinsamkeiten, an die man anknüpfen kann; das erleichtert das Kennenlernen.«
Dana verstummte. Sie musste Marnie beipflichten. Jemanden
wirklich
zu kennen war wichtiger, als sie es sich jemals in ihrem Leben als Single vorgestellt hatte. Das dauerte Jahre. Die meisten jungen Männer kannten sich nicht einmal selbst. Wie konnten sie da einen anderen Menschen kennen?
Sam schien ernsthafter zu sein, nicht zu vergleichen mit anderen Männern seines Alters, als hätte er in seinem Leben viel durchgemacht und verstünde genau, was sie und die Mädchen empfanden.
Aber das war garantiert reines Wunschdenken, ein frommer Selbstbetrug, den sie sich nicht leisten konnte. Er würde den Alltag, die Dramen und das Trauma, unter dem ihre Familie litt, bald satt haben. Wer wollte sich auch auf Dauer mit einer Frau belasten, die zwei verwaiste Nichten am Hals hatte? Jonathan nicht, so viel war sicher …
»Wie dem auch sei«, fuhr Marnie fort. »Ich finde, ihr passt gut zusammen, du und Sam … Er machte einen netten Eindruck, und du hast gelacht; sah ganz so aus, als hättest du Spaß. Ein bisschen Spaß ist gut, Dana.«
»Ich weiß.« Dana war in den Anblick eines kleinen dunklen Flecks auf der anderen Seite der Bucht versunken.
»Wozu soll das gut sein, wenn man als Malerin die ganze Welt bereist und nicht mal ein kleines bisschen Spaß im Leben hat? Ich hoffe, dass es nicht an Sams Alter liegt. Das Geburtsjahr zählt am allerwenigsten. Älter, jünger, wen interessiert das schon, solange dich jemand zum Lächeln bringt? Es spielt keine Rolle.«
»Das Alter spielt sehr wohl eine Rolle.« Dana blickte den Brief an, der auf ihrem Schoß lag.
»In welcher Hinsicht?«
»Der Mann, mit dem ich zuletzt liiert war, war jünger. Es hat nicht funktioniert.«
»Tut mir Leid, Dana.« Marnie hatte offenbar den Schmerz in ihrer Stimme bemerkt;
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