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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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die ein Mensch errichtet, wenn ihn Angst- und Verlustgefühle überkommen. Die Decken in ihrem Bett waren die Mauern ihrer Trutzburg; nichts konnte zu ihr durchdringen und sie verletzen, wenn sie sich darunter verkroch, warm und geborgen, abgeschottet von der Welt.
    Sie lernte auch andere Dinge. Sie konnte niemandem begreiflich machen – schon gar nicht Jonathan –, was sie durchmachte, wenn die Bereitschaft fehlte, zu verstehen. Sie hatten das, was sie füreinander empfanden, Liebe genannt. Ein schönes Wort, aber zu groß für das, was sie miteinander verband.
    Sie sah ihn wieder vor sich. Er war stark, leidenschaftlich und begabt gewesen, ihr schöner Liebhaber. Hochgewachsen und breitschultrig, mit großen dunklen Augen in dem gebräunten Gesicht, olivfarbenem Teint und langen schwarzen Haaren, die er im Nacken zusammengebunden hatte, kam er nach seiner griechischen Mutter. Dana war ihm gleich in der ersten Woche nach ihrer Ankunft in Honfleur begegnet. Beide waren Amerikaner und Maler, beide hatten sich zum klaren Licht der Normandie hingezogen gefühlt, ihre Staffeleien im Hafen aufgestellt und den Kai gemalt.
    Sie waren beide wie die Katze um den heißen Brei herumgeschlichen, was die Arbeit des anderen betraf. Er war gut, sehr gut sogar. Er hatte ihr gestanden, dass er sie die ganze Zeit beobachtet und um ihr Bild beneidet hatte. Die Leinwand war in verwischten Blau- und Grüntönen gehalten, der Blick des Betrachters fiel auf die hohen schmalen Häuser im Hafen, aber durch das Wasser des Meeres gesehen, schimmernd unter den Wellen.
    »Das ist die reinste Zauberei«, rief er, während er das Bild begutachtete. »Eine brandneue Technik. Sehen Sie das Motiv genauso vor sich, oder ist Ihnen das beim Malen eingefallen?«
    »Ich sehe es so vor mir.«
    »Obwohl, brandneu ist heute nichts mehr. In den Kunstakademien wimmelt es von Malern, die versuchen, ihren eigenen Stil zu entwickeln, ihre eigene Perspektive zu finden, aber im Grunde wiederholt sich alles. Man orientiert sich an Wyeth oder Welliver oder Picasso oder Renoir oder Pollock oder Metcalf, versucht, ihn so abzuwandeln, dass er individuell wirkt, aber man eifert immer einem Vorbild nach. Sie allerdings nicht. So etwas habe ich noch nie gesehen. Wie heißen Sie übrigens? Ich wüsste es gerne, damit ich irgendwann sagen kann, ich kenne Sie noch aus der Zeit, als wir beide in Honfleur gemalt haben.«
    »Dana Underhill«, erwiderte sie lächelnd.
    »Ich bin Jon Hull.« Er hatte ihr die Hand gegeben, ohne sich die Mühe zu machen, zuerst die Farbe abzuwischen. Lächelnd hatte er auf ihre verschränkten Hände geblickt. »Vielleicht färbt Ihre Individualität ja auf mich ab, wenn ich Ihnen fest und lange genug die Hand drücke.«
    »Sie sind doch sehr gut«, hatte sie gesagt und sein Bild bestaunt. Ihr Alter spielte keine große Rolle; sie hatte ihm einiges voraus, was ihre Lebensjahre und ihre Erfahrung als Malerin betraf. Sie hatte in aller Herren Länder gelebt, an renommierten Kunstakademien wie RISD und Parsons gelehrt, hatte häufig ausgestellt. Aber sie bewunderte seine technischen Fähigkeiten, seine Farbkompositionen, seine traumhaft sichere Nutzung der Lichtverhältnisse. Während sie sein Bild betrachtete, wurde ihr bewusst, dass er ihre Hand nicht losgelassen hatte.
    Als sie in seine tief liegenden Augen sah, entdeckte sie schockiert das unverhohlene Begehren in seinem Blick, das leise Lächeln, das seine Lippen umspielte. Er musste mindestens zehn Jahre jünger sein. Für sie war das ein gefährliches, unbekanntes Terrain. Umwerfend aussehende Filmstars wurden an der Seite jüngerer Begleiter gesehen. Frauen, die viel Zeit auf ihr äußeres Erscheinungsbild verwendeten, schmückten sich mit attraktiven jungen Liebhabern. Dana interessierte sich kaum für ihr Aussehen. Sie war derart mit Malen beschäftigt, dass sie an manchen Tagen sogar vergaß, sich die Haare zu bürsten.
    »Kommen Sie, trinken wir einen Schluck zusammen«, schlug er vor.
    »Nein danke, ich muss –«
    »Hören Sie. Wir sind zwei amerikanische Maler, die auf dem Kai von Honfleur herumstehen. Sehen Sie das Café da drüben? Dort haben Claude Monet und Eugène Boudin die Standards für Farbe und Licht entwickelt. Lassen Sie uns unser Gespräch dort fortsetzen und unseren Teil zum Impressionismus beitragen, ja?«
    »Nun, wenn Sie es so sehen«, hatte sie erwidert und sich, fasziniert von der Idee, dass zwei Amerikaner in Frankreich über Kunst diskutierten, über ihre

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