Schindlers Liste
noch so innig verehrt, wie er in Schindlers Kindheit daheim verehrt worden war.
Obwohl sie so lange auf ihre Befreiung hatten warten müssen, war den alten Krakauer Juden so etwas wie Sehnsucht nach dem Getto geblieben. Getto bedeutete Enge, Schäbigkeit, Gemein-Schaftslatrinen, Streit um Raum zum Wäschetrocknen. Es warf die Juden aber auf sich selbst zurück; es wurde gemeinsam studiert, gesungen, in Cafehäusern stritt man über das Konzept des Zionismus, und wenn es auch an Schlagsahne fehlte, so doch niemals an geistiger Anregung. Von dem Getto in Lodz und dem in Warschau hörte man Schlimmes, doch das von Podgorze war großzügiger geplant; legte man es auf einen Stadtplan, sah man, daß es halb so groß war wie die Altstadt von Krakau, längst nicht ausreichend, aber ersticken mußte man nicht.
Als Beruhigungspille in dieser Bekanntmachung diente ein Passus, der besagte, die Juden sollten im Getto vor ihren polnischen Landsleuten geschützt werden. Seit den frühen dreißiger Jahren hatte es in Polen rassische Verfolgungen gegeben. Als zu Beginn der Wirtschaftskrise die Agrarpreise fielen, wurden in Polen antisemitische Vereinigungen zugelassen, die die Juden als Ursache aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten hinstellten. Nach dem Tode von Pilsudski verbündete sich seine Partei mit der rechtsgerichteten antisemitischen Einheitsbewegung, und Ministerpräsident Skladkowski erklärte im Parlament den Juden den Wirtschaftskrieg. Statt eine Bodenreform durchzuführen, redete man den Bauern ein, die Juden seien die Ursache der Armut auf dem Lande. Es kam zu Pogromen, der erste fand in Grodno statt. Jüdische Firmen wurden mittels Krediterschwerung zugrunde gerichtet.
Innungen schlössen jüdische Handwerker aus, und die Universitäten verhängten den numerus clausus über Juden. Sie durften bei Vorlesungen und in Vorlesungspausen nur auf bestimmten Plätzen sitzen, und es kam nicht selten vor, daß man jüdischen Studentinnen mit Rasiermessern das Gesicht entstellte.
Die einmarschierenden Deutschen wunderten sich darüber, wie bereitwillig sie von Polen auf jüdische Wohnungen hingewiesen wurden, wie eifrig Polen ihnen halfen, Juden die Locken und die Bärte abzuschneiden. Im März 1941 war das Versprechen, die Juden vor den Polen zu schützen, also durchaus verlockend für die Juden.
Die Juden von Krakau packten nicht gerade jubelnd ihre Sachen für den Umzug nach Podgorze, doch auf sonderbare Weise erschien er ihnen wie eine Art Heimkehr und wie das Erreichen einer Grenze,die das Ende weiterer Entwurzelung und Bedrückung bezeichnete wenn man Glück hatte.
Es kamen deshalb sogar Leute aus den umliegenden Dörfern, die unbedingt rechtzeitig vor dem 20. März eintreffen und auf keinen Fall ausgesperrt werden wollten. Das Getto war als solches fast schon per definitionem bewohnbar, wenn auch vor gelegentlichen Angriffen nicht geschützt; es verhieß eine Stockung in der Strömung.
Für Schindler bedeutete es eine Unbequemlichkeit. Bislang fuhr er von seiner Wohnung in der Straszewskiegostraße am Wawel vorüber durch Kazimierz und bog hinter der Kosciuszko-Brücke nach links zu seiner Fabrik in Zablocie ab. Die Mauer des Gettos würde ihm nun den Weg versperren. Das war nicht besonders lästig, machte aber den Plan, in seinem Bürotrakt eine Wohnung einzurichten, verlockender. Das Gebäude war gar nicht übel, es hätte von Gropius entworfen sein können, mit viel Glas und Licht und dem aus würfelförmigen Ziegeln gemauerten Eingang. Vor Ablauf der Frist sah er nun auf seiner täglichen Fahrt in die Fabrik die Juden von Kazimierz packen, auf der Stradomstraße begegnete er Familien mit Handkarren und Wägelchen, auf die sie Matratzen und Stühle und Standuhren gebunden hatten. Sie und ihre Vorfahren lebten schon in Kazimierz, als es noch eine Insel war, vom Zentrum getrennt durch die Alte Weichsel. Sie lebten dort, seit Kazimier der Große sie aufgefordert hatte, nach Krakau zu kommen, als man sie anderswo als die Urheber der Schwarzen Pest verfolgte. Vermutlich, so dachte Schindler, sind ihre Vorfahren vor etwa Jahren geradeso angekommen, wie diese jetzt abziehen: mit ihrem Bettzeug auf dem Handkarren. Kazimiers Einladung galt nicht mehr.
Die Straßenbahn, so stellte sich heraus, sollte unverändert die Lwowskastraße entlangfahren, mitten durch das Getto. Fenster in den den Schienen zugekehrten Hausmauern wurden von polnischen Arbeitern zugemauert, auch auf unbebauten Grundstücken wurden Mauern
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