Schindlers Liste
Sie hier arbeiten, wird Ihnen nichts geschehen. Wenn Sie hier arbeiten, werden Sie den Krieg überleben. Guten Abend.« Und damit ging er hinaus. Bankier hielt die Frauen zurück, um ihm den Vortritt zu lassen. Der Herr Direktor ging die Treppe hinunter und setzte sich in sein Automobil.
Sein Versprechen hatte allen den Atem verschlagen. Er hatte gesprochen wie ein Gott. Konnte ein Sterblicher denn eine solche Zusage geben? Und doch stellte Edith Liebgold fest, daß sie ihm aufs Wort glaubte. Nicht so sehr, weil sie wünschte, er möge recht behalten, sondern weil sie ihm einfach glauben mußte. Noch ganz benommen, ließen die Frauen der Nachtschicht sich in ihre Arbeit einführen. Sie fühlten sich, als hätte eine Zigeunerin ihnen geweissagt, daß sie demnächst einen Grafen heiraten würden. Schindlers Versprechen änderte Edith Liebgolds Perspektive durchschlagend. Sollte man sie jemals an die Wand stellen, um sie zu erschießen, würde sie vermutlich protestieren: »Aber der Herr Direktor hat gesagt, so etwas kann nicht passieren.«
Die Arbeit war einfach und leicht. Edith trug die in Email getauchten Töpfe, die an Haken von einer Stange hingen, zu den Brenntöpfen. Und dabei dachte sie unentwegt an Schindlers Versprechen. Eigentlich konnte nur ein Verrückter so etwas sagen. Ohne eine Miene zu verziehen. Aber verrückt war er gewiß nicht. Er war Geschäftsmann. Auf dem Weg zum Abendessen. Also wußte er was. Aber wissen konnte er nur, wenn er das Zweite Gesicht hatte. Oder einen direkten Draht zu Gott oder dem Teufel. Danach sah er aber nicht aus, die Hand mit dem Siegelring war nicht die eines Sehers. Es war eine Hand, die nach dem Weinglas greift. Die zärtlich sein konnte. Also war er eben doch verrückt. Oder betrunken?
Wie sonst war zu erklären, daß er sie mit seiner Gewißheit angesteckt hatte?
Auch in den folgenden Jahren stellten viele Menschen, denen Schindler solche verwirrenden Versprechungen machte, ähnliche Überlegungen an. Und manche meinten: Wenn dieser Mensch sich irrt, oder wenn er seine Versprechungen leichtfertig macht, dann gibt es keinen Gott, keine Menschlichkeit, kein Brot, keine Rettung. Dann bleibt alles Zufall, und unsere Aussichten sind schlecht.
Kapitel 9
Im Frühling fuhr Schindler in seinem BMW von Krakau nach Westen über die Grenze durch ergrünende Wälder nach Zwittau. Er wollte seine Frau besuchen, seine Schwester und die Tanten. Sie alle hatten mit ihm gegen seinen Vater Partei ergriffen, seine Mutter war für sie eine Märtyrerin gewesen. Sollte es eine Parallele zwischen dem kummervollen Leben seiner verstorbenen Mutter und der beklagenswerten Existenz seiner Frau geben, Schindler jedenfalls sah sie nicht. Im pelzverbrämten Mantel, das Steuerrad in den behandschuhten Händen, auf den geraden Strecken der mit tauendem Schnee bedeckten Straßen immer wieder nach einer türkischen Zigarette greifend, so näherte er sich Zwittau.
Er besuchte die Tanten gern, es gefiel ihm, wenn sie seine gutgeschnittenen Anzüge bewunderten. Seine Schwester, jünger als er, batte einen höheren Eisenbahnbeamten geheiratet und bewohnte eine komfortable Dienstwohnung.
Ihr Mann war in Zwittau eine bedeutende Persönlichkeit, es war ein Bahnknotenpunkt mit einem großen Verschiebebahnhof.
Schindler trank Tee mit Schwester und Schwager, dann Schnaps, im stillen beglückwünschten sie einander sie hatten es beide zu was gebracht, die Schindlerkinder.
Seine Schwester hatte die Mutter selbstverständlich während deren letzter Krankheit gepflegt, und ebenso selbstverständlich hatte sie unterdessen mit ihrem Vater gesprochen. Sie beschränkte sich aber beim Tee darauf, anzudeuten, daß es vielleicht an der Zeit sei, eine Versöhnung herbeizuführen. Schindler knurrte bloß. Das Abendessen nahm Schindler mit seiner Frau ein. Sie freute sich, ihn über Ostern bei sich zu haben. Sie könnten gemeinsam den Gottesdienst besuchen, ein trautes Paar. Beide gingen sehr behutsam miteinander um, wie zwei höfliche Fremde. Beide waren wieder einmal erstaunt darüber, wie wenig sie miteinander anfangen konnten, besonders ihn verwunderte es, daß er ganz fremden Menschen,etwa den Arbeitern in seiner Fabrik, mehr zu bieten haben sollte als seiner Frau.
Es war zu überlegen, ob sie zu ihm nach Krakau ziehen sollte. Gab sie die Wohnung in Zwittau auf, besaß sie keine Zuflucht mehr, sollte ein Arrangement in Krakau sich als unmöglich erweisen. Doch hielt sie es für ihre Pflicht, bei ihrem Mann zu
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