Schindlers Liste
zeigte sich gelegentlich in einem höhnischen Schmunzeln, das ihm im Gesicht stand wie einem naschhaften Knaben ein Klecks gestohlener Marmelade.
Er war umgänglich und verläßlich grausam. Schindler wußte, daß Scherner es vorzog, die Juden auszupressen, anstatt sie umzubringen, daß er, wenn es ihm Nutzen brachte, die Regeln umging, daß er aber im großen und ganzen die Linie der SS einhalten würde, einerlei, wie diese aussah. Zu Weihnachten hatte er ihm ein halbes Dutzend Flaschen Cognac geschickt.
Nächstes Mal würden es mehr sein müssen, denn Scherners Macht hatte zugenommen.
Diese Machtverschiebung - die SS war nicht mehr nur ausführendes Organ, sondern bestimmte die Politik —, war die Ursache dafür, daß der ÖD im Juni eine Veränderung durchmachte. Schindler wurde mit dem Anblick eines Mannes vertraut, einfach, indem er am Getto vorbeifuhr, eines ehemaligen Glasers namens Symche Spira. Spira brachte einen anderen Geist in den OD. Er stammte aus einer orthodoxen Familie und verabscheute aus Prinzip, und weil er persönliche Gründe dafür hatte, die verwestlichten liberalen Juden, die noch zum Judenrat gehörten. Er nahm keine Befehle von Rosenzweig entgegen, sondern nur noch von Untersturmführer Brandt und von der Befehlsstelle der SS jenseits der Weichsel.
Von seinen Besprechungen mit Brandt kam er ins Getto zurück, geschwollen von Machtbewußtsein und intimen Kenntnissen. Brandt hatte ihn beauftragt, dem ÖD eine Zivilabteilung anzugliedern und zu leiten, und die besetzte er mit seinen Freunden. Die begnügten sich nun nicht mehr mit Mütze und Armbinde, sondern trugen graue Hemden, Stiefelhosen, Koppel und blanke Schaftstiefel.
Spiras Abteilung ließ es nicht bei widerstrebender Fügsamkeit bewenden, sie bestand aus geldgierigen Leuten, Leuten, die an schweren Minderwertigkeitskomplexen litten, weil sie früher einmal von Juden des bürgerlichen Mittelstandes gekränkt oder beleidigt worden waren. Sie befaßten sich hinfort mit Erpressung und damit, für die SS Listen mit den Namen mißliebiger oder illoyaler Gettobewohner anzufertigen.
Pfefferberg wollte nun aus dem ÖD austreten. Angeblich sollte der auf den Führer vereidigt werden, so lautete ein Gerücht, außerdem wollte Pfefferberg nichts mit diesen Leuten, mit ihren grauen Hemden und ihren Listen zu tun haben. Also suchte er Rat bei Alexander Biberstein, einem sanftmütigen Arzt im Krankenhaus, dem Amtsarzt des Judenrates. Dessen Bruder Marek war bis zu seiner Verurteilung wegen versuchter Bestechung der erste Vorsitzende des Judenrates gewesen. Pfefferberg also bat ihn um ein Attest, das ihm ermöglichen sollte, aus dem ÖD auszuscheiden. Das sei nicht so leicht, meinte Biberstein, Pfefferberg sehe blühend aus. Einen zu hohen Blutdruck könne er auch nicht vortäuschen. Er möge lernen, sich wie jemand zu bewegen, der einen Bandscheibenschaden hat. Pfefferberg trat hinfort seinen Dienst gekrümmt und mit einem Gehstock an.
Spira war außer sich. Pfefferberg hatte ihn nämlich zuvor gebeten, ihn vom Ordnungsdienst zu dispensieren, und Spira hatte ihm,ganz nach Art des Kommandeurs einer Leibgarde, erklärt, er habe seine Pflicht gefälligst bis zum letzten Atemzug zu tun. Spira und seine infantilen Freunde spielten sich im Getto als Eliteverband auf, als Fremdenlegionäre, als Prätorianer. »Du gehst gefälligst zum Gestapoarzt! « schrie Spira jetzt. Biberstein, der mit Pfefferberg voll und ganz sympathisierte, hatte ihn aber so gut vorbereitet, daß Pfefferberg die Prüfung durch den Gestapoarzt bestand und vom OD entlassen wurde, weil er an einer Bandscheibenschwäche litt, die ihn hinderte, seinen Dienst ordnungsgemäß zu versehen. Spira verabschiedete seinen Untergebenen mit Haß und Verachtung.
Tags darauf fielen die Deutschen in Rußland ein. Schindler hörte die Neuigkeit von der BBC und wußte, daß das Unternehmen Madagaskar damit hinfällig geworden war. Schindler spürte, daß dieses Ereignis die Planung der SS veränderte, denn die Wirtschaftsexperten, die Techniker, die mit der Umsiedlung befaßten Planer, die Polizisten aller Spielarten stellten sich jetzt nicht nur auf einen langen Krieg ein, sondern schienen mit größerem Eifer ein rassisch gereinigtes Imperium anzustreben.
Kapitel 11
In einer Seitengasse der Lipowastraße, Schindlers Emailwarenfabrik benachbart, stand die Deutsche Kistenfabrik. Schindler, rastlos und hungrig nach Gesellschaft, schlenderte gelegentlich hinüber, um mit dem Treuhänder
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