Schindlers Liste
hatte, um sich vor der Kälte zu schützen. Er hockte auf einer Pritsche mit Strohsack.
Es gab noch eine zweite, außerdem einen Wassereimer und den Klosettkübel. Der Soldat erwies sich als Standartenführer der Waffen-SS, unrasiert, unter dem Mantel nur ein aufgeknöpftes Hemd, dazu verdreckte Stiefel. Er begrüßte Schindler mit einer leichten Handbewegung. »Herzlich willkommen«, sagte er dazu. Er sah trotz seiner Verwahrlosung recht gut aus und mochte einige Jahre älter sein als Schindler. Dieser hielt ihn für einen Spitzel, wunderte sich allerdings darüber, daß man einen Spitzel in Uniform gesteckt und ihm überdies einen so hohen Rang verliehen hatte.
Schindler blickte auf die Uhr, schaute zum dicht unter der Decke angebrachten Fenster, durch das nur wenig Licht in die Zelle fiel. Sehen konnte man nichts, aber das Fenster ging wohl auf den Innenhof.
Es kam zu einer Unterhaltung, die von Seiten Schindlers zurückhaltend, von Seiten des Standartenführers sehr offenherzig geführt wurde. Er stellte sich als Philip vor — Nachnamen täten hier wohl nichts zur Sache. Den Winter über habe er monatelang mit seinem Bataillon Nowgorod gehalten, dann Urlaub nach Krakau bekommen und sich zu lange bei seiner polnischen Freundin aufgehalten. Drei Tage nach Ablauf seines Urlaubs sei er verhaftet worden. Eigentlich habe er seinen Urlaub nicht überschreiten wollen, doch der Anblick all der Bonzen, die sich hier in der Etappe rumdrückten, habe ihn so wütend gemacht, daß er meinte, er wolle sich auch mal was leisten. Und weshalb Schindler hier sei?
»Weil ich eine Jüdin geküßt habe.«
Philip lachte laut. »Haben Sie sich dabei vielleicht infiziert?« Dann schimpfte er über die Etappenschweine, nannte sie Räuber und Speckjäger. Es sei ganz unglaublich, wie sich manche bereicherten. Und dabei sei die SS mit so hohen Idealen angetreten! Aber jetzt lebten sie in Saus und Braus.
Schindler tat, als sei ihm dies alles neu. Er hörte mit schmerzlicher Verwunderung, daß diese Elite es angeblich so wüst trieb; er als naiver Zivilist habe sich nichts dabei gedacht, nett zu dieser kleinen Jüdin zu sein. Philip, erschöpft von seinem Ausbruch, schlief schließlich ein.
Schindler brauchte dringend was zu trinken. Das würde die Zeit schneller vergehen lassen, der Standartenführer würde nach einem kräftigen Schluck noch umgänglicher werden und, falls er ein Spitzel war, sich womöglich verraten. Er kritzelte Namen und Telefonnummern auf eine Zehnzlotynote, knüllte sie mit den restlichen vier Zehnzlotynoten zusammen und klopfte an die Tür. Der SS-Unterführer, der öffnete, sah eher gutartig aus, ernst und schon ältlich, gar nicht der Typ, der Gefangene zu Tode trampelt, aber das war ja ein besonderer Aspekt der Folter, daß man sie nicht von jemand erwartete, der aussah wie ein gutmütiger Onkel aus der Provinz.
Schindlers Bitte, ihm fünf Flaschen Wodka zu besorgen, stimmte den Mann bedenklich.
Fünf? fragte er in geradezu besorgtem Ton. Er schien auch zu überlegen, ob er das nicht melden müsse. Schindler erklärte, der Oberst und er hätten gern je eine Flasche, um die Unterhaltung zu beleben, und die drei übrigen seien für die Herren von der Bewachung bestimmt. Übrigens sei der Wärter doch sicher befugt, im Auftrag eines Gefangenen zu telefonieren? Die ‘Nummern stünden auf dieser Banknote. Er brauche nur die erste Nummer anzurufen, die seiner Sekretärin, und ihr die anderen durchzugeben. Der Mann ging und verschloß die Zelle.
»Sie sind ein Idiot«, sagte Philip. »Sie werden erschossen wegen versuchter Beamtenbestechung.«
Schindler gab sich ungerührt.
»Das ist genauso blöd, wie eine Jüdin zu küssen.«
»Abwarten«, sagte Schindler. Aber wohl war ihm nicht.
Nach einer Weile kam der Wärter zurück, brachte zwei Flaschen Wodka, ein Paket mit sauberen Hemden und Unterwäsche, einem Buch und einer Flasche Wein, alles von Ingrid gepackt und am Gefängnistor abgeliefert. Der Abend verging recht angenehm, nur wurde den beiden verboten, zu singen.
Schindler erwachte trotz allem mit klarem Kopf, Philip hingegen bleich und niedergeschlagen. Man holte ihn aus der Zelle, und nach einer Weile kam er zurück. Am Nachmittag sollte er vor einem Kriegsgericht erscheinen, doch wußte er bereits, daß er nicht erschossen, sondern nach Stutthof versetzt werden würde. Schindler las Karl May.
Nachmittags kam ein Anwalt in seine Zelle, ein Sudetendeutscher, der seit zwei Jahren in Krakau
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