Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schindlers Liste

Schindlers Liste

Titel: Schindlers Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Keneally
Vom Netzwerk:
geheiratet hatte, einen Blauschein, weil sie bei Madritsch arbeitete. Als mehr als hundert Personen ausgesondert waren, führte man sie in den Hof der alten Schokoladenfabrik Optima. Dort warteten bereits weitere Hunderte, viele Akademiker, Bankiers, Apotheker, Zahnärzte. Sie standen in Grüppchen beieinander und unterhielten sich gedämpft. Es waren viele alte Leute darunter, die von den Rationen lebten, die der Judenrat ihnen zuteilte. Der Judenrat, der Lebensmittel und Wohnraum verwaltete, war in diesem Sommer nicht mehr ohne Ansehen der Person vorgegangen wie bisher.
    Krankenschwestern aus dem Gettokrankenhaus verteilten Wasser an die Wartenden, abgesehen von dem auf dem schwarzen Markt gekauften Zyankali so ungefähr das einzige Linderungsmittel, das sie zur Verfügung hatten. Die Alten und die Familien aus der Provinz nahmen das Wasser ängstlich und schweigend. * In den nächsten Stunden erschien immer wieder Polizei mit Listen. Kolonnen wurden formiert und unter SS-Bewachung zum Bahnhof Prokocim geführt. Manche Leute versuchten, sich in die Ecken des Platzes zu verdrücken, Pfefferberg hingegen drängte zum Ausgang in der Hoffnung, einen Funktionär zu finden, der ihm günstig gesonnen wäre, beispielsweise Spira. Statt dessen sah er am Schilderhaus einen bekümmert aussehenden Jüngling mit der OD-Mütze, der eine Liste in der Hand hielt. Den kannte er von seiner eigenen Zeit beim OD, und überdies hatte er dessen Schwester in Podgorze unterrichtet, als er noch Lehrer war. Der Junge erblickte ihn und murmelte: »Pan Pfefferberg, was machen Sie denn hier?«
    »Blöderweise habe ich noch keinen Blauschein«, antwortete Pfefferberg.
    »Kommen Sie«, sagte der Junge und ging mit ihm auf einen uniformierten Polizisten zu, den er grüßte. »Dies ist Herr Pfefferberg vom Judenrat, der Verwandte besucht hat«, log er forsch drauflos. Der Polizist winkte ihn gelangweilt durch.
    Pfefferberg dachte nicht weiter darüber nach, warum ein magerer Junge sich der Gefahr aussetzte und seinetwegen log — nur weil er dessen Schwester mal unterrichtet hatte? Statt dessen lief er zum Arbeitsamt und drängte sich bis zum Schalter vor, hinter dem zwei Sudetendeutsche saßen, Fräulein Skoda und Fräulein Knosalla. Von denen verlangte er jetzt mit all seiner Überredungskunst einen Blauschein. Fräulein Skoda nahm seine Kennkarte.
    »Da kann ich Ihnen nicht helfen, wenn Sie drüben keinen bekommen haben, darf ich Ihnen auch keinen ausstellen. Das kann höchstens Herr Szepessi machen, und der ist nicht zu sprechen.« Pfefferberg gab nicht nach, und sie ließ ihn schließlich zu Szepessi vor. Sie galt als anständige Person, weil sie gelegentlich von der bürokratischen Routine abwich und in Einzelfällen Ausnahmen machte. Ein Greis mit Warzen im Gesicht dürfte bei ihr allerdings weniger gut gefahren sein als der ansehnliche Pfefferberg.
    Herr Szepessi stand ebenfalls im Ruf, human zu sein, auch wenn er eine unmenschliche Maschinerie bediente. Er warf einen Blick auf Pfefferbergs Kennkarte und murmelte: »Lehrer können wir leider überhaupt nicht gebrauchen.«
    Pfefferberg hatte Schindlers Angebot stets zurückgewiesen, weil er sich als Individualist fühlte, als einsamer Wolf. Er wollte nicht gegen geringen Lohn in Zablocie eine langweilige Arbeit verrichten. Nun wurde ihm klar, daß das Zeitalter der Individualisten vorbei war. Man mußte unbedingt eine Arbeit nachweisen, wenn man überleben wollte. Also sagte er: »Aber ich bin gelernter Schleifer!« Er hatte nämlich gelegentlich bei einem Onkel ausgeholfen, der eine kleine Metallbearbeitungswerkstatt in Rekawka betrieb. Herr Szepessi betrachtete ihn über den Rand seiner Brille. »Das ist schon eher was«, sagte er, vernichtete mit einem Federstrich Pfefferbergs akademische Ausbildung, indem er »Gymnasiallehrer« löschte und statt dessen »Metallschleifer« darüberschrieb. Dann klebte er den Blauschein in die Kennkarte und stempelte ihn. »Jetzt sind Sie ein nützliches Mitglied der Gesellschaft«, bemerkte er, als er Pfefferberg die Karte reichte.
    Später in diesem Jahr wurde der bedauernswerte Szepessi seiner Gutmütigkeit wegen nach Auschwitz geschickt.
    Kapitel 14
    Schindler erfuhr von verschiedenen Seiten - unter anderem von Wachtmeister Toffel und dem Trunkenbold Bosch von Ostfaser —, daß »im Getto rigorosere Maßnahmen ergriffen werden«, was immer man sich nun darunter vorzustellen hatte. Die SS verlegte Sonderkommandos nach Krakau, die sich bereits in

Weitere Kostenlose Bücher