Schindlers Liste
Tage zu hören, daß der Kommandant offenbar Schindlers zweifacher Verführung erlegen war. Dr. Sedlacek berichtete in Budapest, daß Göth, jedenfalls vorderhand, damit aufgehört habe, willkürlich Menschen zu ermorden, Und der kleine Springmann, der sich um Dachau und Dancy im Westen bis zu Sobitor und Blezec im Osten kümmerte, hoffte eine Weile, daß er Plaszow von der Liste seiner Sorgenkinder streichen könne.
Doch die Verlockung, durch Barmherzigkeit zu glänzen, verblaßte nur zu bald. Sollte es wirklich eine Pause gegeben haben, so waren sich die Überlebenden von Plaszow dessen nicht bewußt. Ihnen schien es, als hätten die willkürlichen Erschießungen niemals ausgesetzt.
Sollte Göth mal morgens nicht auf seinem Balkon erscheinen und womöglich am folgenden Tag ebenfalls nicht, so doch gewiß am dritten. Es hätte größerer Ereignisse bedurft, als nur der vorübergehenden Abwesenheit des Kommandanten, um selbst im optimistischsten Gefangenen die Hoffnung zu wecken, er könnte sich geändert haben.
Sedlacek brachte nach Budapest nicht nur seine übertriebene Hoffnung mit, was Göth betraf, sondern auch handfeste Daten über Plaszow. Die verdankte er einem Bericht Sterns, der von Schindler in seine neue Wohnung im Bürotrakt gerufen und mit zwei ihm unbekannten Herren bekannt gemacht worden war. Der eine war Sedlacek, der andere ein Jude—mit Schweizer Paß -, der sich Babar nannte. »Lieber Freund«, begrüßte ihn Schindler, »ich möchte, daß Sie jetzt gleich einen ausführlichen schriftlichen Bericht über die Zustände in Plaszow anfertigen.« Stern hielt das für leichtsinnig, denn er kannte die beiden ja nicht.
Folglich rieb er die Hände und murmelte, er möchte doch zuvor ein paar Worte unter vier Augen mit dem Herrn Direktor sprechen. Mit ungewohnter Direktheit fragte er nun Schindler:
»Halten Sie das nicht für sehr riskant, Herr Schindler?«
Der explodierte. »Glauben Sie, ich würde Sie darum bitten, wenn es riskant wäre?« Und schon ruhiger: »Natürlich besteht immer ein Risiko, das wissen Sie besser als ich. Aber diese beiden Männer sind zuverlässig.«
*· Stern faßte also seinen Bericht ab. Er verstand sich auf s Schreiben, und die Budapester wie die Zionisten in Istanbul bekamen etwas Handfestes und Verläßliches. Wer Sterns Bericht mit 1700 multiplizierte, der Zahl der kleinen und großen Zwangsarbeiter in Polen, der konnte wahrhaftig die Welt in Staunen versetzen!
Sedlacek und Schindler wollten aber noch mehr von Stern. Am Morgen nach dem denkwürdigen Gelage mit Göth fuhr Schindler, schon ehe die Lagerverwaltung ihren Dienst begann, nach Plaszow und zeigte eine Erlaubnis vor, zusammen mit zwei Geschäftsfreunden die vorbildlichen Fertigungsanlagen zu besichtigen - eine Erlaubnis, die er abends zuvor Göth abgehandelt hatte. Er verlangte .nun, daß der Häftling Itzhak Stern diese kleine Delegation durchs Lager führte. Babar hatte eine Kleinbildkamera mit, die er offen in der Hand hielt.
Man konnte sich geradezu vorstellen, wie er, von einem Aufseher zur Rede gestellt, die Vorzüge dieses kleinen Gerätes anpries, das er kürzlich in Stockholm oder Brüssel erworben hatte. Schindler instruierte Stern: Seine Freunde wollten die Fertigungsanlagen und die Unterkünfte sehen, doch falls Stern sie auf etwas Besonderes aufmerksam machen wolle, solle er sich bücken und sein Schnürband neu binden.
Die erste von Sterns Sehenswürdigkeiten war die mit jüdischen Grabsteinen gepflasterte Lagerstraße, und er ließ ihnen Zeit, die Namen der Verstorbenen zu lesen. Vorbei am Lagerbordell, in dem Polinnen für die Wachmannschaften der SS und die Ukrainer zur Verfügung standen, erreichten sie den weit in den Felsen hineinreichenden Steinbruch. Auch hier hielt Stern an, denn im Steinbruch wurden Menschen zu Tode geschunden oder auch einfach getötet. Die hier arbeitenden Häftlinge, viele mit Schrunden und Narben bedeckt, zeigten kein Interesse an den Besuchern.
Göths ukrainischer Fahrer Iwan tat hier Dienst, und der Kapo war Erik, ein deutscher kugelköpfiger Krimineller. Der hatte seine mörderischen Talente bereits unter Beweis gestellt, indem er Mutter, Vater und Schwester umgebracht hatte. Er hätte wohl unter dem Fallbeil geendet, wäre er nicht von der SS dazu benützt worden, seinerseits schlimmere Verbrecher als Elternmörder zu bestrafen. In Sterns Bericht stand zu lesen, daß der Krakauer Arzt Edward Goldblatt von SS-Arzt Dr. Blancke und seinem Schützling, dem
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