Schindlers Liste
Kommission stützen, welche nach dem Krieg die Verbrechen der Deutschen in Polen untersuchte, sprechen von 150000 Häftlingen in Plaszow und seinen fünf Nebenlagern, die für viele nur eine Durchgangsstation waren. Die Polen meinen, daß 80 000 Häftlinge dort umgekommen sind, meist durch Massenerschießungen auf Chujowa Gorka oder durch Epidemien.
Die überlebenden Plaszower, die mit dem Wiederauffinden, Ausgraben und Verbrennen der Toten zu tun hatten, bezweifeln diese Angaben. Ihrer Schätzung nach haben sie damals zwischen 8000 und 10000 Leichen ausgegraben - eine Zahl, die grauenhaft genug ist und die zu übertreiben sie keine Neigung haben. Der Unterschied zwischen diesen Schätzungen wird erheblich geringer, berücksichtigt man, daß auch 1944 Polen, Zigeuner und Juden weiterhin auf Chujowa Gorka erschossen wurden, deren Leichen die SS sofort nach der Exekution verbrennen ließ. Außerdem wurden längst nicht alle Toten in den Wäldern ausgegraben. Nach dem Krieg fand man noch Tausende weitere, und auch heute noch stößt man bei Bauarbeiten in den Vorstädten Krakaus, die sich bis nach Plaszow ausdehnen, auf Gebeine.
Schindler sah die brennenden Scheiterhaufen entlang dem Kamm oberhalb der Werkstätten im Lager das erste Mal einige Tage vor seinem Geburtstag.
Als er eine Woche später das Lager erneut besuchte, hatte die damit verbundene Tätigkeit erheblich zugenommen. Häftlinge, Nase und Mund durch Tücher geschützt, gruben die Toten aus und transportierten sie auf Decken, improvisierten Tragen und Schubkarren zu den Scheiterhaufen. Dort stapelten sie sie auf, und wenn der Haufen Schulterhöhe erreichte, wurde er mit Dieselöl übergössen und angezündet. Der Anblick der durch die Hitze des Feuers anscheinend neu zum Leben erwachten Leichen war grauenhaft.
Die Asche von diesen Brandstätten rieselte auf Kleidung und Unterkünfte von Häftlingen und Bewachungspersonal. Niemand schien Anstoß zu nehmen an der Qualmwolke, die über dem Lager stand. Göth unternahm mit Majola wie üblich seinen Ausritt, und John ging mit seinem zwölfjährigen Sohn in den Wald, um in Tümpeln nach Kaulquappen zu fischen. Die Feuer und der Gestank änderten nichts am Tagesablauf.
Schindler saß bei hochgekurbelten Scheiben in seinem BMW und hielt sich ein Tuch vor die Nase. Ihm fiel ein, daß auch Spira und die Seinen da oben verbrannt wurden. Zu seiner Verblüffung waren Spira und alle übrigen Gettopolizisten samt ihren Familien um Weihnachten herum erschossen worden, nachdem die Sucharbeiten im Getto beendet waren.
Die eifrigsten (Spira und Zellinger) wurden ebenso erschossen wie die widerstrebenden.
Spira, seine schüchterne Frau und die gelehrigen Spirakinder standen vor den Gewehrläufen in der ehemaligen Feuerstellung auf Chujowa Gorka, nackt und vor Kälte zitternd, die OD-Uniform nichts als ein Haufen Kleider, der demnächst umgearbeitet werden würde. Spira war bis zuletzt davon überzeugt, daß dies nicht geschehen könne.
Dieser Massenmord hatte Schindler deshalb besonders entsetzt, weil sich daran zeigte, daß es für Juden keine Überlebensgarantie gab, einerlei wie sie sich erniedrigten. Auch Gutter und die Seinen waren erschossen worden, im Vorjahr, nach einer Abendgesellschaft bei Göth. Schindler war schon weggegangen, als es passierte, hörte aber später davon.
Es begann damit, daß Neuschel und John ausgerechnet Bosch hänselten. Der prahle zwar immer mit seinen Kriegserlebnissen, doch in Wahrheit sei er viel zu zimperlich, um selber jemand umzubringen. Sie gaben keine Ruhe, bis Bosch das Ehepaar Gutter und die beiden Kinder aus ihren Baracken holen ließ.
Auch Gutter war als letzter Vorsitzender des Judenrates ein ergebener Erfüllungsgehilfe der SS gewesen, hatte nie einen Widerspruch gewagt oder gar aufbegehrt. Er unterschrieb, was man verlangte, fand jede Forderung berechtigt. Bosch hatte ihn überdies innerhalb und außerhalb des Lagers als Handlanger benutzt, hatte durch ihn auf dem schwarzen Mark Polstermöbel und Schmuck verkaufen lassen. Das alles hatte Gutter anstandslos getan, einerseits, weil er ein Lump war, andererseits, weil er glaubte, sich selber, seine Frau und seine Kinder damit zu retten.
Aber nun ließ Bosch sie alle zu einer Kuhle unweit des Frauenlagers führen. Die Kinder weinten und bettelten, David Gutter und seine Frau blieben still, denn sie wußten, das würde nichts nützen. Und alle diese Toten, die Spiras und die Gutters, die Aufsässigen, die Priester, die
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