Schismatrix
seine neunjährige Tochter, beugte sich in ihrem Sitz vor und wisperte Natalie etwas zu. Constantine betrachtete das Kind, das er gebaut hatte. Zur Hälfte kam sein Genmaterial von Vera Kelland, Extrakte aus Epidermpartikeln, die er vor dem Selbstmord der Frau angelegt hatte. Über die Jahre hin hatte er die gestohlenen Gene gehütet wie einen Schatz, und als die Zeit reif war, hatte er sie in diesem Kind neu erblühen lassen. Vera war sein Liebling, sie war sein erster Nachkomme, seine erste Zeugung. Wenn er daran dachte, daß sein persönliches Versagen für sie möglicherweise den Untergang bedeutete, verspürte er wieder Furcht, und es war eine stärkere Furcht als zuvor, weil es dabei nicht um ihn selbst ging.
Eine ungewöhnliche Bewegung auf der Bühne erregte seine Aufmerksamkeit - ein kurzes Aufwallen gestelzt-stilisierter Aktivität, als der geistesgestörte »Schurke«, natürlich ein Superheller, sich an den Kopf faßte und stürzte. Constantine kratzte sich verstohlen mit der Sohle seines Füßlings am Knöchel. Seine Viruserkrankung der Haut hatte sich im Laufe der Jahre gebessert und war nun nur noch in gelegentlichen akuten Ausbrüchen einer Trockenflechte an den unteren Extremitäten ärgerlich vorhanden.
Bei dem Stück handelte es sich um eines von Zeuners Werken; es langweilte Constantine. Die Skimmers Union hatte sich diese Mode von Goldreich-Tremaine abgeschaut, und die aus der gelähmten Ex-Metropole geflüchteten Dramatiker hatten das ihre dazu beigetragen. Aber das moderne Theater war ohne Leben. Fernand Vetterling beispielsweise, der Verfasser von The White Pariapsis und The Technical Advisor , war in schmollendes Schweigen versunken und brütete an der Seite seiner in Ungnade gefallenen Mavrides-Gemahlin dahin. Andere Künstler mit detentistischen Neigungen erhielten nun die Rechnung für ihr unbedachtes Vorpreschen präsentiert und berappten entweder Geldbußen oder saßen unter Hausarrest. Einige waren abgesprungen und übergelaufen, andere waren »zeitweilig untergetaucht«, hatten sich den Aktionsbrigaden der Kataklysmatiker angeschlossen und arbeiteten als Tagelöhner in der »Friedhofschicht«.
Doch die Kataklysmatiker verloren mehr und mehr den Zusammenhalt und wurden zunehmend terroristisch. Ihre Elite von Superhellen sah sich schweren Angriffen ausgesetzt. Die Progrome, der »spontan sich äußernde Volkszorn«, gegen die Superhellen waren immer gründlicher organisiert, je stärker die hysterische Haßwelle anschwoll. Die Förderer und Erzieher der Superhellen waren inzwischen zu politischen Unpersonen erklärt worden, wobei viele unter ihnen perversen Racheakten aus den eigenen Reihen der erleuchteten Superhellen zum Opfer fielen.
Die Superhellen waren zu brillant, als daß sie in die Gemeinschaft gepaßt hätten; ihre Forderung zielte auf eine weltenvernichtende Anarchie von Übermenschen ab. Und Supermänner waren einfach unerträglich, intolerabel. Constantine hatte diese Intoleranz gefördert. Nie war ihm das Leben angenehmer begegnet: eine überragende Position, eine eigene Constantine-Gen-Linie, freie Hand bei extravaganten Aktionen gegen die Mechs, und dazu noch seine persönlichen Stacheldrahtnetze zur Entmutigung eventueller Disloyalität.
Und an diesem Abend hatte er alles auf eine Karte gesetzt. Wie lange dauerte es denn noch, bis die Nachricht, seine Botschaft endlich eintraf? Und wie würde er sie aufnehmen? Würde er durch seine Leibwächter durch die Ohrkontakte darüber unterrichtet werden? Oder durch die gestohlenen Mech-Implantate in seinem Hirn, mittels derer ihm Geheimkanäle zu dem blassen Datengeflüster der Drahtköpfe zugänglich waren? Oder ...
Aber nun geschah etwas. Die flaggenschwenkende Choreographie auf der Rundbühne zerfiel plötzlich zu konfusem Durcheinander. Die buntfarbigen Firmenlogos und Gen-Linien-Standarten wurden langsamer und verhedderten sich ineinander. Auf gebrüllte Befehle hin wichen die Tänzer in chaotischem Wirrwarr zurück. Jemand schwebte an dem Bühnenpodiumsrand. Es war dieser erbärmliche Charles Vetterling, das ältliche Gesicht von Siegesfreude und lakaienhafter Selbstüberheblichkeit geschwellt.
So, das war es also. Vetterling brüllte. Unhörbar. Der Starakteur drückte ihm ein Kehlkopfmikro an den Hals. In dem plötzlichen Feedback röhrte Vetterlings Stimme scheppernd und laut.
»... vom Krieg! Die Mech-Märkte sind in Panik! Asteroid Nysa hat sich mit dem Ring Council solidarisiert! Ich wiederhole, das
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