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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
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Wagen in einer Seitenstraße abzustellen. Wenn ich es tat, um nach Lance’ Wagen Ausschau zu halten, blieb die Suche jedenfalls ergebnislos. War er möglicherweise wirklich weg und ich tatsächlich in Sicherheit?
    Ich spottete über meine eigene Naivität und sah mich noch einmal prüfend um, bevor ich aus meinem Wagen stieg und
forschen Schrittes losmarschierte, wobei ich darauf achtete, mich im Schatten der zunehmenden Dunkelheit zu halten. Die über meinem Kopf schwebenden Palmwedel klapperten im Wind wie riesige Kastagnetten.
    Auf der Seventh Avenue ging ich langsamer, zog die Schultern hoch, senkte den Blick und tat, als ich mich meinem Haus näherte, so, als wollte ich daran vorbeigehen, bis ich im allerletzten Moment doch abbog und, den Schlüssel bereits gezückt, den Weg zu meiner Haustür hinaufeilte. Ich stieß die Tür auf und schloss hinter mir sofort wieder ab, bevor ich mit pochendem Herzen ans Wohnzimmerfenster stürzte, wo meine schweißnasse Stirn Tropfen auf der Scheibe hinterließ, als ich hektisch die Straße auf und ab blickte. Wurde ich beobachtet?
    »Alles okay«, sagte ich laut. »Du bist in Sicherheit.« Ich nickte mehrmals wie zur Bestätigung und ging, ohne den umgestürzten Weihnachtsbaum und seinen zerbrochenen Schmuck zu beachten, in die Küche, wo die Porzellanscherben unter meinen Schuhen knirschten, als ich an die Hintertür trat und zu dem kleinen Haus im Garten starrte.
    Das Licht brannte, was bedeutete, dass Alison wahrscheinlich zu Hause war und auf das Motorengeräusch meines Wagens wartete, damit sie die letzte Stufe ihres Planes zünden konnten. »Wie sich das anhört«, sagte ich lachend. »Die letzte Stufe ihres Planes zünden«, wiederholte ich laut und musste noch einmal lachen.
    Ich ließ mich auf einen Küchenstuhl fallen und betrachtete die Scherben der zerbrochenen Frauenköpfe auf dem Fußboden, der ganze Stolz meiner Mutter. »Was ist los, Mädels? Vom PMS-Syndrom geschlagen?« Ich trat nach den Scherben und beobachtete, wie die gezackten Stücke über den Boden glitten und mit anderen Fragmenten kollidierten – hier ein Ohr, dort eine Schleife, ein hochgeschlagener Kragen, eine verirrte Hand. »Ich weiß nicht, worüber ihr
euch beklagt, meine Damen. Ihr hattet auch schon vorher ein großes Loch im Kopf.« Ich stand auf, fegte die Trümmer in der Mitte der Küche zusammen, anfangs mit bloßen Händen, dann mit einem Besen.
    All die Frauen aufzusammeln und zu entsorgen kostete mich fast eine halbe Stunde – ich arbeitete wohlgemerkt im Dunkeln -, doch schließlich hatte ich den Scherbenhaufen in den Mülleimer unter der Spüle gekippt und den Boden noch einmal trocken und feucht gewischt. Hinterher hatte ich einen Bärenhunger und machte mir ein Sandwich mit dem übrig gebliebenen Roastbeef, das ich mit einem Glas Magermilch hinunterspülte.
    Ich weiß noch, dass ich gedacht habe, Frauen brauchen Kalzium. Sogar Unsichtbare wie ich.
    Ich kehrte ans Fenster zurück und starrte durch den dichter werdenden Schleier der Dunkelheit auf das winzige Häuschen, das einst mein Zuhause gewesen war. Ein Heim für ungeratene Mädchen, dachte ich, als ich erst Erica und dann Alison vor mir sah. Was war bloß mit mir los, dass ich mich zu solchen Menschen hingezogen fühlte? Wo war meine Menschenkenntnis, mein gesunder Menschenverstand? War ich durch Erfahrung denn kein bisschen klug geworden?
    Die stumme Verachtung meiner Mutter sickerte aus dem Schlafzimmer durch die Decke wie Säure aus einer Autobatterie, und ich spürte, wie sie mir ein Loch in die Kopfhaut brannte.
    Noch eine dumme Frau mit einem klaffenden Loch im Kopf, dachte ich und raufte mir die Haare, als die Stimme meiner Mutter mir ins Ohr flüsterte: Du lernst nie dazu. Du gehörst in den Müll zu den anderen .
    Im selben Augenblick nahm ich eine Bewegung wahr und drückte mich instinktiv an die Wand, als Alison ihre Wohnzimmergardine aufzog, in den Garten starrte und voller Sorge
zur Auffahrt blickte. Sie fragte sich offensichtlich, wo ich war und wann ich nach Hause kommen würde.
    Sie blieb ein paar Sekunden am Fenster stehen und trat dann einen Schritt zurück, sodass die Gardinen ihre andauernde Wacht verhüllten. Ich musste vorsichtig sein und mich in den uneinsehbaren Ecken der Räume aufhalten. Sie durfte nicht wissen, dass ich zu Hause war, bis alles vorbereitet war. Es gab noch so viel zu tun. Ich tastete mich zum Tresen und griff in die Regale, um die benötigten Zutaten bereitzustellen.

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