Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
hervor. »Jakob hat Maike getötet. Ich weiß, er sieht aus wie ein harmloser Junge. Aber er ist ein Monster.«
Sanna jagte mit dem Smart über die schmale Bergstraße. Sie war nervös, wollte so schnell wie möglich zu Jakob. Etwas stimmte nicht. Tante Renate hatte seltsame Andeutungen gemacht. Und dann ihr plötzlicher Sinneswandel. Auf einmal wollte sie, dass Sanna Jakob half, zu verschwinden. So schnell wie möglich, hatte sie gesagt. Ihre Tante verschwieg ihr etwas. Davon war sie überzeugt. Sie hatte irgendetwas Wichtiges herausgefunden, das sie für sich behielt.
Nach dem Gespräch hatte Sanna keine Ruhe mehr gefunden. Die Kurse, die Bewohner, das Stift Marienbüren, alles hatte sich wie ein Gefängnis angefühlt. Sie war unkonzentriert gewesen, nicht richtig bei der Sache, und die Zeit war quälend langsam vergangen. Schließlich war es ihr zu viel geworden. Sie hatte den letzten Kurs einfach ausfallen lassen. Übelkeit, hatte sie in der Verwaltung gesagt, eine offensichtliche Ausrede. Sie würde später Ärger mit Erika Eckart bekommen. Aber das war nicht zu ändern. Zuerst musste sie nach Hause, um nach Jakob zu sehen.
Der Wagen schoss auf den Kirchplatz. Ein Schlagloch im Kopfsteinpflaster drückte sie in den Sitz. Ihre Wohnung rückte ins Blickfeld. Sie bremste ab. Die Haustür stand sperrangelweit offen. Da stimmte etwas nicht. Ohne zu überlegen, sprang sie aus dem Wagen und hastete auf das Fachwerkhäuschen zu. In dem engen Treppenhaus war kein Laut zu hören.
»Jakob? Bist du da?«
Sie lief hinauf. Ihre Wohnungstür war nur angelehnt. Ein kurzer Blick genügte, um festzustellen: Jakob war fort. Er musste freiwillig gegangen sein. Die Türriegel ließen sich nur von innen öffnen. Ratlos ging sie von Zimmer zu Zimmer. Sie waren in einer knappen Stunde verabredet gewesen, um nach Bielefeld zu fahren. Er hatte ihr versprochen, die Wohnung nicht zu verlassen. Und jetzt das.
Seine Reisetasche stand noch immer im Wohnzimmer. Ein Zettel lag oben auf der Tasche. Ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Ihr Name stand darauf. Sie schnappte sich den Zettel und faltete ihn auseinander. Sie hatte mit einem Abschiedsbrief oder etwas in der Art gerechnet. Aber es war eine Liste. Sechs Namen, mit krakeliger Handschrift niedergeschrieben. Ohne irgendeine Erklärung.
Sanna studierte die Namen. Sie konnte wenig mit ihnen anfangen. Einer kam ihr vage bekannt vor: Gunther Dörrhoff. Es dauerte eine Weile, bis ihr wieder einfiel, weshalb: So hieß der Psychiater aus der Klinik, in der Jakob untergebracht war. Der Bekannte von Erika Eckart. Er hatte das Gutachten erstellt. War der etwa gemeint?
Sie ließ den Zettel sinken. Was wollte Jakob ihr damit sagen? Was sollte sie mit dieser Liste anfangen? Ihr Blick fiel durchs Fenster hinaus auf den Kirchplatz. Draußen schien alles verwaist.
Sie musste etwas tun. Eilig faltete sie den Zettel zusammen, steckte ihn in die Hosentasche und verließ die Wohnung. Jakob war wahrscheinlich zu Fuß unterwegs. Vielleicht war er noch nicht weit gekommen. Der Smart stand unten vor dem Haus. Sie setzte sich hinters Steuer und fuhr drauflos. Kurvte durch den Ortskern, an der Einkaufsstraße entlang, durch die Wohnviertel. Doch von Jakob keine Spur. Schließlich fuhr sie zum Bahnhof. Aber auch hier war er nicht zu sehen. An der Straße nach Bielefeld fuhr sie rechts ran und stellte den Motor ab.
Sie überlegte. Es schien ihn sinnlos, zu Hause auf ihn zu warten. Ein Gefühl sagte ihr, er würde nicht wiederkommen. Etwas war passiert, das alle Pläne durchkreuzt hatte. Und dann diese seltsame Liste, die er hinterlassen hatte.
Eine Möglichkeit blieb noch. Beherzt startete sie den Wagen und fuhr wieder los. Sie steuerte den Schleichweg zum Stift Marienbüren an. Auf halber Strecke lag das Gehöft der Blanks. Vielleicht war Jakob ja auf dem Weg dorthin.
Die schmale Straße machte eine Biegung, und Sanna konnte aus einer Senke heraus die umliegenden Hänge überblicken. Ein paar hundert Meter entfernt lag hinter einem Wäldchen das Gehöft, und tatsächlich entdeckte sie dort einen einsamen Wanderer, der gerade die Anhöhe erreicht hatte. Es war Jakob, sie erkannte ihn ganz deutlich am grünen T-Shirt.
Sanna hupte wild, doch er schien sie nicht einmal zu hören. Sie beschleunigte, aber es war zu spät. Jakob verschwand hinter einer Reihe Fichten aus ihrem Blickfeld. Er war nun auf dem Grundstück seiner Eltern. Damit war er aus ihrer Reichweite.
Nachdenklich blickte sie sich um. Da war
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