Schlafender Tiger. Großdruck.
Esteban. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er das Meer nach Anzeichen für einen erneuten Sturm ab und dachte an Frances. Er stellte sich vor, mit ihr in San Antonio zu leben, und sei es nur um der Genugtuung willen, dem Verleger Rutland schreiben zu können, er solle sich zum Teufel scheren. George Dyer würde kein einziges Buch mehr schreiben, sondern ein Faulenzer, ein Nichtsnutz werden, der sich von einer reichen Amerikanerin aushalten ließ.
In San Esteban war die Mittagsruhe vorbei, die Fensterläden waren weit geöffnet, und vor dem Cafe saßen friedlich ein paar Gäste. Als George laut hupend vorbeifuhr, winkten sie und riefen "Hombre!“, denn hier kannte ihn jeder, er war der verrückte Engländer, der in seinem kleinen Auto mit den gelben Rädern auf der Insel herumdüste, eine Seglermütze auf dem Kopf, und manchmal ein Buch schrieb.
Während er im Leerlauf die letzten Meter der Straße hinabfuhr, die nach Cala Fuerte führte, kämpfte er kurz mit sich, ob er noch schnell auf einen Drink in Rodolfos Bar vorbeischauen sollte. Schließlich entschied er sich zu seiner eigenen Überraschung dagegen. Zweifellos würde er dort Freunde treffen, länger bleiben als beabsichtigt und mehr trinken, als gut für ihn war. Er traute dem Wetter nicht, außerdem mußte er Pearl füttern. Daher drückte er nur auf die Hupe und winkte freundlich in Richtung der Terrasse des Hotels Cala Fuerte. Rodolfo war nirgends zu sehen, aber ein oder zwei erstaunte Zecher winkten zurück. George hatte das angenehme Gefühl heimzukommen und begann zu pfeifen.
Pfeifend betrat er das Haus. Selina, die immer noch oben auf der Leiter saß, hatte gehört, wie das Auto über den Hügel kam, den Abhang hinunterfuhr und mit einem lauten Quietschen der alten Bremsen vor der Casa Barco hielt. Sie rührte sich nicht; die große weiße Katze schlief in ihrem Schoß. Als der Motor abgestellt wurde, hörte sie das Pfeifen. Eine Tür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen. Das Pfeifen wurde lauter. Dann öffnete sich die Tür der Casa Barco, und ein Mann kam herein.
In der einen Hand trug er einen Korb, in der anderen eine Kiste und zwischen den Zähnen eine zusammengerollte Zeitung. Er schloß mit einem Schwung der Hüfte die Tür, stellte den Korb ab, nahm die Zeitung aus dem Mund, warf sie in den Korb und trug die Kiste zum Schreibtisch, wo er sie vorsichtig neben die Schreibmaschine stellte.
Selina konnte sein Gesicht nicht erkennen, weil es von dem Schirm seiner arg mitgenommenen Seemannsmütze verdeckt war. Er öffnete die Kiste und inspizierte den Inhalt. Offensichtlich zufrieden mit dem Ergebnis, griff er nach dem Fernglas und verschwand auf die Terrasse.
Selina blieb, wo sie war, doch die Katze wachte auf. Sie streichelte sie, zum Teil, weil sie nervös war, zum Teil, weil sie nicht wollte, daß das Tier sich bewegte. Nach ein paar Minuten kam der Mann zurück, legte das Fernglas hin, nahm seine Mütze ab und warf sie auf den Tisch. Er hatte dunkles, sehr volles Haar mit den ersten Spuren von Grau darin. Sein Hemd war von demselben Blau wie das der Bauern, die Hosen aus verwaschenem Khakistoff, und an den Füßen trug er staubige Espadrilles. Immer noch pfeifend, holte er den Korb und ging damit in die Kochnische, wo er zum zweitenmal aus Selinas Blickfeld verschwand. Sie hörte, wie er die Eisschranktür öffnete und schloß, dann wurde eine Flasche aufgemacht, ein Glas gefüllt.
Als er wieder auftauchte, hatte er ein Glas in der Hand, das offenbar Mineralwasser enthielt. Er trat auf die Terrasse und rief: „Pearl!“ Die Katze begann sich zu strecken. „Pearl! Pearly!“ Er machte verführerische Kußgeräusche. Die Katze miaute. Er kam ins Haus zurück. „Pearl?“
Selina fuhr sich mit der Zunge
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