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Schlag auf Schlag

Schlag auf Schlag

Titel: Schlag auf Schlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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Knetmasse. Die Nase war weg. Die Backenknochen waren völlig zersplittert. Es sah schlimm aus. Der Schuss wurde aus sehr kurzer Entfernung abgegeben. Ich bin nicht dazu gekommen, alle notwendigen Tests durchzuführen, würde aber sagen, dass die Waffe wahrscheinlich direkt auf dem Gesicht aufgesetzt, oder sonst höchstens dreißig Zentimeter davon entfernt war.«
    Fast hätte Myron einen Schritt rückwärts gemacht. »Wollen Sie damit sagen, dass ein Polizist hat ihn aus kürzester Entfernung ins Gesicht geschossen hat?«
    Das Geräusch eines Wassertropfens, der aus dem Hahn in die Edelstahlspüle gefallen war, hallte durch den Raum. »Ich erzähle nur, was ich gesehen habe«, erwiderte Amanda West bestimmt. »Welche Schlüsse Sie draus ziehen, ist Ihre Sache.«
    »Wer weiß sonst noch davon?«, fragte er.
    »Ich bin mir nicht sicher. In jener Nacht ging es zu wie im Zoo. Eigentlich habe ich damals allein gearbeitet, aber da muss noch mindestens ein halbes Dutzend anderer Leute im Raum gewesen sein. Keiner von denen hat in der Gerichtsmedizin gearbeitet.«
    »Wer war das?«
    »Cops und die Leute von der Regierung«, antwortete sie.
    »Von der Regierung?«
    Sie nickte. »Das hat man mir jedenfalls so gesagt. Sie haben für Senator Cross gearbeitet. Geheimdienst oder so was. Die haben alles beschlagnahmt - Gewebeproben, die Kugeln, die ich aus der Leiche geholt hatte, und was sonst noch so da war. Mir haben sie erzählt, es ginge um die nationale Sicherheit. Das war eine total
    verrückte Nacht. Zwischendurch war sogar Yellers Mutter irgendwann mal im Obduktionssaal. Sie hat mich angeschrien.«
    »Was hat sie geschrien?«
    »Sie hat darauf bestanden, dass keine Obduktion gemacht wird. Sie wollte ihren Sohn sofort wiederhaben. Den Wunsch haben sie ihr dann auch erfüllt. Die Polizei hat ausnahmsweise mal in etwas eingewilligt. Die hatten kein Interesse daran, dass sich das jemand zu genau anguckt. Im Endeffekt waren alle Beteiligten zufrieden.« Sie lächelte wieder. »Komische Sache, finden Sie nicht?«
    »Dass die Mutter keine Obduktion wollte?« »Ja.«
    Myron zuckte die Achseln. »Das ist nicht die erste Mutter, die nicht will, das ihr Kind obduziert wird.«
    »Ja, damit die Leiche als Ganzes ordentlich begraben werden kann. Aber der Knabe wurde gar nicht begraben. Er wurde eingeäschert.« Sie lächelte wieder, diesmal übertrieben süß.
    »Verstehe«, sagte Myron. »Jeder Hinweis auf polizeiliches Fehlverhalten wäre also mit Curtis Yellers Leiche verbrannt.«
    »Genau«, sagte sie.
    »Und Sie denken also - ja, was eigentlich? - dass, Deanna Yeller unter Druck gesetzt wurde?«
    Amanda West hob schicksalsergeben die Hände. »Hey, ich habe gesagt, dass es eine komische Sache ist. Nicht lustigkomisch, sondern seltsam-komisch. Der Rest liegt bei Ihnen. Ich bin nur Pathologin.«
    Myron nickte wieder. »Haben Sie sonst noch etwas gefunden?«
    »Ja, sagte sie. »Und das fand ich auch komisch. Sehr komisch.«
    »Lustig-komisch oder seltsam-komisch?«
    »Das müssen Sie selbst entscheiden«, erwiderte sie. Sie strich ihren Kittel glatt.
    »Ich bin zwar keine Ballistik-Expertin, ein bisschen was weiß ich aber doch über Geschosse. Ich habe zwei Kugeln aus Yeller rausgeholt, eine aus dem Brustkorb und eine aus dem Kopf.«
    »Ja. Und?«
    »Die beiden Kugeln hatten unterschiedliche Kaliber.«
    Amanda West hob den Zeigefinger. Alle Ansätze eines Lächelns waren verschwunden. Ihr Gesicht wirkte ernst und entschlossen. »Verstehen Sie, was ich sage, Mr. Bolitar? Wir sprechen nicht nur von zwei verschiedenen Waffen, wir sprechen von unterschiedlichen Kalibern. Und jetzt kommen wir zum wirklich Komischen an dieser Sache: Alle Beamten der Polizei von Philadelphia benutzen Waffen des gleichen Kalibers.«
    Myron fröstelte. »Also stammte eine der beiden Kugeln nicht von einem Cop.«
    »Und«, fuhr sie fort, »sämtliche anwesenden Geheimdienst- Männer waren bewaffnet.«
    Schweigen.
    »Also«, sagte sie. »Lustig-komisch oder seltsam-komisch?«
    Myron sah sie an. »Haben Sie mich lachen hören?«

40
    Myron beschloss, Jakes Rat zu ignorieren. Erst recht nach seinem Gespräch mit Amanda West.
    Es war gar nicht leicht gewesen, Officer Jimmy Blaines aktuelle Adresse zu kriegen. Der Mann war vor zwei Jahren in den Ruhestand gegangen. Dennoch hatte Esperanza schließlich herausbekommen, dass er allein an einem kleinen See in den Pocono Mountains lebte. Myron fuhr zwei Stunden durch die Wildnis, bis er Blaines Einfahrt erreichte.

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