Schlag weiter, Herz
gegen Felix, das ist was Besonderes.«
»Wer gewinnt?«
»Dein Bruder hat viel bessere Chancen. Gute alte DDR-Boxschule.«
»Warum trittst du dann an?«
»Keiner ist unschlagbar. Ich kann ziemlich hart hauen.«
Dann standen sie herum wie zwei, die in Treibsand geraten sind und nicht wissen, welcher Schritt der falsche wäre.
»Wie war das Parfüm?«, fragte Mert.
»Welches Parfüm?«
»Das Buch, das du auf der Busfahrt gelesen hast.«
»Das hast du dir gemerkt?«
»Ich hab dir gegenübergesessen.«
»Ich hab es eigentlich nur gelesen, weil es so ein Bestseller ist. Aber ich mochte es ganz gerne. Es geht um einen Mann, der nach nichts riecht, aber die tollsten Parfüms herstellt. Dafür bringt er allerdings Jungfrauen um. Hast du es gelesen?«
»Nein, ich wollte es mir noch besorgen.«
»Ich kann es dir leihen.«
Mert lehnte sich ans Treppengeländer, sodass er die Hallentür im Blick hatte und Nadja nicht direkt ansehen musste. Sie zog Zigaretten aus ihrer Handtasche und zündete sich eine an. Nach weiteren Sekunden des Schweigens fragte sie: »Willst du auch eine?«
»Ja.«
»Felix würde eher aus einer Toilettenschüssel trinken, als sich eine Zigarette anzustecken.«
Mert nahm die Zigarette. Er fasste sie in der Mitte an und reckte seinen Oberkörper in Richtung des Feuers, das Nadja ihm hinhielt.
»Ich dachte, Boxer rauchen und trinken nicht.«
»Boxer rauchen und trinken nicht vor Wettkämpfen.«
»Und ihr habt keinen Sex.«
»Doch, Sex geht immer. Nur am Wettkampftag nicht.« Mert lächelte gequält. Das Adrenalin vom Kampf ebbte ab, und in seinem Kiefer stellte sich ein Schmerz ein, als sei eine Klinge durch den Knochen gestoßen worden. Mert hatte harte Treffer eingesteckt, bevor er seinen Gegner überwinden konnte.
Nadja beobachtete, dass er den Mund nur so weit öffnete, bis die Zigarette zwischen die Lippen passte.
»Der Kiefer?«, fragte sie.
»Die nächsten Tage kann ich nur Bananenmilch durch den Strohhalm trinken. Ist eh besser fürs Gewicht.«
Mert drehte sich zu ihr. »Willst du mit mir ins Kino gehen?«
»Heute kann ich nicht«, antwortete Nadja in einem Abwehrreflex.
»Ich meinte auch nicht unbedingt heute.«
»Klar. Gerne. Warum nicht?«
»Donnerstagabend ist trainingsfrei. Willst du ins Ufa-Kino? Da läuft immer was um acht.«
»Ja.«
»Gut.«
Mert versuchte erneut zu lächeln, doch seine Kieferschmerzen ließen es nicht zu.
»Ich hab mich gewundert, dass du nicht k. o. gegangen bist«, sagte Nadja.
»Kurz war ich weg, aber als ich wieder da war, stand ich noch. Also dachte ich: Da kannste auch boxen, wenn du noch stehst.«
Nadja schüttelte den Kopf.
»Ich hab ganz gute Nehmerqualitäten.«
»Fähigkeiten«, sagte Nadja.
»Was?«
»Fähigkeiten. Felix sagt, wenn einer einstecken kann, ist das keine Qualität, sondern eine Fähigkeit.«
Die Hallentür ging auf, und Felix trat mit seiner Frau vor die beiden. Mert schmiss die Zigarette weg und bleckte die Zähne.
»Gut geboxt«, sagte Mert.
»Danke. Von deinem rechten Haken will ich aber auch nicht erwischt werden«, erwiderte Felix.
»Dann sei auf der Hut.«
Mert nahm seine Tasche vom Boden, schob seinen Arm durch die Trageschlaufen und verabschiedete sich von Felix, indem er ihm die Faust entgegenstreckte. »Bis in zwei Wochen dann.«
Als Mert außer Hörweite war, fragte Felix seine Schwester: »Was wollte der denn?«
»Nichts.«
»Und worüber habt ihr geredet?«
»Über Literatur.«
5
Nachdem er geduscht hat, wischt Mert den beschlagenen Spiegel frei, um sich zu betrachten. Der Spiegel steckt in einem Rahmen aus dunklem Holz, der sorgfältig und fein geschnitzt wurde. Tänzer, Krieger und Gottheiten sind in dem Rahmen miteinander verbunden. Der Spiegel wurde mit zwei einfachen Schrauben durch den Rahmen in die Wand gebohrt, was Mert seit seinem Einzug stört. Er findet die Art der Anbringung achtlos. Der schöne Rahmen wird kaputtgehen, wenn man den Spiegel eines Tages abnimmt. Nadja könnte besser ausdrücken, was ihn an den Schrauben stört. Vielleicht bedeuten die nackten Schraubenköpfe, dass Mert etwas besonders findet, was den Einheimischen nicht mal mehr auffällt. Sie bedeuten, dass es für niemanden etwas Besonderes ist, hier zu sein. Außer für ihn.
Mert spannt seine Brust- und Rückenmuskeln an. Er hat einen Brustansatz bekommen. »Biertitten« nannte er das früher, wenn er es an älteren Boxern unter der Dusche nach dem Training sah. Auch von den Liegestützen und vom
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