Schlamm, Schweiß und Tränen
ein Wort zu sagen.
Hier oben trifft jeder seine eigenen Entscheidungen. Und jeder
muss mit den Konsequenzen seiner Entscheidungen klarkommen.
Der Sturm befand sich noch in tieferen Regionen und kam zudem
nur sehr langsam von Osten her näher - er war also noch weit weg.
Neil und ich schauten einander an, dann drehten wir um und gingen in Richtung Gipfelgrat.
Es war eine kolossale Erleichterung, wieder in Bewegung zu sein,
und es dauerte nicht lange, da spürte ich einen solchen Energieschub,
wie ich ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte.
Ich schätze, dass ich tief in meinem Innersten gespürt habe, dass
jetzt meine Chance gekommen war.
Immer wieder habe ich mich vor Neil gesetzt, um mich mit ihm
bei der Spurarbeit durch den tiefen Schnee abzuwechseln. Das hielt
mich warm. Neil lief mit gesenktem Kopf und sein Körper schien erste Anzeichen von Erschöpfung zu zeigen - doch ich wusste, dass er
nicht aufgeben würde.
Nachdem wir eine Stunde auf dem Gipfelgrat unterwegs waren,
gerieten wir schon wieder in diese tiefen Schneeverwehungen aus Pulverschnee. Mit jedem beschwerlichen Schritt und mit jedem Atemzug
wurde die Kraft in meinen Beinen, die ich zuvor noch gespürt hatte,
immer weniger.
Ein gutes Stück über uns konnte ich Alan sehen, wie auch er sich
mühsam durch den tiefen Pulverschnee quälte. Es schien so, als würde er überhaupt nicht vom Fleck kommen. Der stark überwechtete
Grat stieg immer weiter in die Höhe - Schneeverwehungen aus Pulverschnee, so weit das Auge reichte.
Ich hatte noch nicht einmal richtig mitbekommen, welch atemberaubendes Panorama sich uns hier oben bot - ein Rundblick über das
ganze Himalaja-Gebirge, eingehüllt in das zarte Licht der frühen
Morgendämmerung.
Denn ich war nur damit beschäftigt, meine ganze Konzentration
auf die Arbeit meiner Arme und Beine zu richten. Dazu musste ich entschlossen meine ganze Kraft aufbieten, um Schritt für Schritt abwechselnd ein Bein aus dem tiefen Pulverschnee zu heben und es
dann mit Schwung nach vorn zu schleudern, um den nächsten Schritt
zu machen - das war das Einzige, worauf es ankam.
Mach einfach weiter. Kämpfe. Noch einen Schritt und dann noch
einen.
Doch irgendwie schien es, als ob der Südgipfel einfach nicht näher
kommen wollte.
Ich konnte spüren, wie nach und nach auch das letzte bisschen
Kraft aus meinem Körper wich.
Diesen Schneegrat hinaufzusteigen, war ungefähr genauso anstrengend, als müsste man hüfttief durch zähen Rübensirup waten,
während man gleichzeitig den Partner im Gamstragegriff geschultert
hätte, der dann - um das Maß endgültig vollzumachen - noch versuchen würde, einem ein Paar tiefgefrorene Socken in den Mund zu
stopfen. Schön, nicht?
Ich habe mich gezwungen durchzuhalten, aber ich wurde von Minute zu Minute schwächer. Mir war schon klar, dass ich irgendwann
keine Kraft mehr hätte. Denn sie wurde zusehends immer weniger.
Mein Körper rang verzweifelt nach mehr Sauerstoff, doch alles was
er bekam, waren diese popligen zwei Liter pro Minute, die kaum
merklich durch meine Nase krochen.
Das reichte einfach nicht - und dennoch schrumpfte mein Sauerstoffvorrat von Sekunde zu Sekunde.
Wieso eigentlich wird die Ziellinie prinzipiell immer
erst in dem Augenblick erkennbar, wenn wir am allerliebsten aufgeben würden? Will das Universum etwa auf diese Weise sicherstellen,
dass das Beste nur denjenigen zugutekommt, die sich auch am meisten dafür ins Zeug legen?
Eins habe ich allerdings von der Natur gelernt: Nach jeder noch so
dunklen Nacht beginnt immer wieder ein neuer Tag.
Dann endlich, wenn auch noch weit über mir, waren mittlerweile
im Licht der Morgendämmerung die Umrisse des Südgipfels zu erkennen.
Zum ersten Mal konnte ich spüren, dass das Ziel schon fast zum
Greifen nah ist.
Ich merkte auf einmal, wie eine unbändige Willenskraft in mir
aufstieg und eine verbissene, unbeirrbare Zielstrebigkeit.
Mein guter alter Freund - jene unerschütterliche und hartnäckige
Entschlossenheit, die ich bisher nur wenige Male in meinem Leben
gespürt hatte, und zwar meist in den entscheidenden Augenblicken
der SAS Selection - war mit jedem Schritt, den ich mich durch diesen
tiefen Schnee kämpfte, gerade wieder zum Leben erwacht.
Ich würde diesem verdammten Schnee und diesem Berg entschlossen die Stirn bieten.
Mein guter alter Freund würde mir helfen, die Schmerzen, die
Kälte und die Angst zu besiegen - und bis zum Ende
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