Schlamm, Schweiß und Tränen
hier oben
sterben würde.
Ich versuchte, diese Gedanken aus meinem mit Sauerstoff unterversorgten Gehirn zu verbannen. Doch es gelang mir nicht.
jetzt geh einfach weiter, Bear. Bring die Sache zu Ende, danach steigst
Du wieder runter.
Am Ende des Gipfelgrats stützten wir uns auf unsere Eispickel
und schauten nach oben.
Über uns erhob sich der legendäre Hillary Step - jene zwölf Meter
hohe, vereiste Felsstufe, die eine der klettertechnisch schwierigsten
Herausforderungen auf dem Weg zum Gipfel darstellt.
Ich stand mit gebeugtem Rücken, um mich vor dem Wind zu
schützen und versuchte eine Route auszumachen, wie ich diese Steilstufe am besten bewältigen könnte.
Diese vereiste Steilstufe wäre jetzt die letzte und gleichzeitig härteste Bewährungsprobe, die wir noch bestehen müssten. Wenn wir es
schafften, dieses Hindernis zu überklettern, wäre der Weg zum Gipfel
frei und wir würden zu den Wenigen gehören, die diesen geweihten
Boden betreten dürften.
Damit wäre ich dann der 31. britische Bergsteiger, der den Gipfel
des Mount Everest erfolgreich bestiegen hätte.
Die Liste der Gipfelstürmer ist nicht sehr lang.
Ich begann also vorsichtig mit dem Aufstieg. Denn wenn man hier
abstürzt, geht es verdammt tief nach unten.
Frontalzacken der Steigeisen ins Eis bohren. Eispickel einschlagen.
Testen, ob beides hält. Dann einen Schritt hinaufklettern.
Ich kam zwar nur langsam voran, aber immerhin kam ich voran.
Und Schritt für Schritt arbeitete ich mich über das Eis bis ganz nach
oben.
Immerhin hatte ich schon sehr oft Steilstufen wie diese - mit über
70 Grad Steigung - erklettert, allerdings noch nie zuvor in einer Höhe
von 8.750 Metern. Doch in dieser extremen Höhe, in dieser trockenen sauerstoffarmen dünnen Luft, bei einer Windgeschwindigkeit
von knapp 65 Kilometern pro Stunde, bei der wir aufpassen mussten,
dass der Wind uns nicht vom Felsen fegte, wurde das Klettern zu einem regelrechten Kraftakt. Schon wieder.
Ich blieb stehen, um mein Gleichgewicht für den nächsten Schritt
zu finden.
Doch dann machte ich den altbekannten Fehler - ich schaute
nach unten.
Auf der rechten und linken Seite der Steilstufe fielen die Felswände unter mir mehrere Tausend Meter in die Tiefe.
Bear, was bist Du ein Idiot.
Ab da versuchte ich, mich nur noch darauf zu konzentrieren, was
unmittelbar vor und oberhalb von mir war.
Nach oben. Los, kletter weiter hinauf.
Also bin ich immer weiter hinaufgeklettert.
Das war die Klettertour meines Lebens und nichts sollte mich
jetzt noch aufhalten.
Atmen. Pause. Schritt. Pause. Atmen. Pause. Schritt. Pause.
Immer wieder und wieder derselbe Rhythmus.
Ich hieve mich über den letzten Felsvorsprung und schleppe mich
dann mit letzter Kraft aus der Gefahrenzone, weg vom Rand.
Ich wische den tiefen Pulverschnee vor mir etwas zur Seite, lasse
mich in den Schnee fallen und japse nach Luft.
Danach hocke ich mich hin und wische das Eis weg, das sich beim
Atmen in der eiskalten Luft auf meiner Atemmaske gebildet hat.
Ich klinke mich aus dem Fixseil aus, noch während ich dahocke.
Das Seil ist jetzt frei, sodass Neil sich an den Aufstieg machen kann.
Ich rappele mich auf die Füße und kämpfe mich langsam vorwärts.
In der Ferne kann ich jede Menge bunte Gebetsfahnen erkennen,
die tief im Schnee stecken. Sie flattern im Wind. Ich weiß, dass diese
Fahnen bedeuten, dass wir jetzt den Hauptgipfel so gut wie erklommen haben - und am Ziel unserer Träume sind.
Ich spüre, wie mein Körper auf einmal sämtliche Energiereserven
mobilisiert und wie diese Kraft mich antreibt.
Das liegt am Adrenalin, das gerade durch meine Adern und Muskeln schießt.
Ich habe mich noch nie zuvor in meinem Leben so unglaublich
stark und dennoch so unglaublich schwach gefühlt - und das gleichzeitig.
Immer wieder wechselt sich schubweise ein Hochgefühl, bedingt
durch den Adrenalin-Kick, mit einem Gefühl völliger Erschöpfung
ab, während mein Körper mühsam versucht, diesen extremen emotionalen Ausnahmezustand dieser letzten bewegenden Augenblicke zu
verkraften.
Ich finde, es hat schon etwas seltsam Ironisches, dass ausgerechnet
das allerletzte Stück des Weges auf dieser unglaublich kräftezehrenden Gipfeletappe über einen so sanft ansteigenden Hügel führt.
Eine weit gezogene Kurve, die sich am stark überwechteten Gipfelgrat entlang bis zum Gipfel zieht.
Gott sei Dank.
Ich habe das Gefühl, als würde der Gipfel mich zu sich
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