Schlangenblut (German Edition)
dieses arme verschwundene Mädchen kümmern, als mich und meine Familie zu drangsalieren.«
Sie ließ die Hände sinken und beugte sich vor. »Wenn ich heute sterbe, ist das ihre Schuld. Sie war heute schon einmal hier, und ich sage Ihnen«, sie ließ sich auf ihrem Stuhl zurücksinken und hielt sich eine Hand vors Gesicht, »dass sie mich fast umgebracht hätte. Die Schwestern haben gesagt, mein Blutdruck ist so sehr in die Höhe geschnellt, dass sie schon dachten, ich hätte einen Schlaganfall.«
»Das tut mir leid«, sagte Cindy, die ihr Glück kaum fassen konnte. Es war, als würde Alicia genau das Drehbuch vorlesen, das sie und Burroughs für sie geschrieben hatten. Sie musste sie nur in die richtige Richtung lenken. Zwar kam ihr die Alte viel zu gerissen vor, als dass sie auf eine solche Inszenierung hereingefallen wäre, aber solange Cindy ihre Story bekam, sollte ihr das recht sein. »Möchten Sie vielleicht etwas sagen für den Fall, dass Ihr Sohn gerade zuschaut?«
Alicia lächelte erneut. Cindy konnte nur hoffen, dass sie damit nicht zu viele Zuschauer abschreckte, denn sie hatte selbst bei Toten schon ein freundlicheres Grinsen gesehen. »Nur dass ich ihn liebe, egal, was er getan haben soll. Ich weiß, dass er so sein will wie sein Vater, und nichts könnte mich stolzer machen.«
Das war perfekt. Und praktisch das Ende ihres Drehbuchs. Aber noch lange kein Grund, nicht weiterzubohren. »Möchten Sie vielleicht auch an die Adresse von Agent Guardino etwas sagen?«
Alicias Augen verengten sich zu reptilienartigen Schlitzen, und sie streckte erneut den Hals vor. »Leute wie sie bekommen früher oder später, was sie verdient haben, daran sollte sie immer denken. Sie sollte nie vergessen, dass Blut dicker ist als Wasser –«
Sie erstarrte und griff sich mit einer Hand an die Kehle, als sei sie am Ersticken. Plötzlich lief ihr Gesicht hochrot an, als sie verzweifelt nach Luft rang. Die Schwester eilte herbei und stieß Cindy weg. Dann brach Alicia in ihren Armen zusammen.
»Dreh weiter«, flüsterte Cindy dem Kameramann zu, als die Schwester den Alarmknopf drückte. Weitere Schwestern kamen ins Zimmer gerannt, gefolgt von Burroughs und Guardino. Sie legten Alicia aufs Bett, maßen Puls und Blutdruck, drückten ihr eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht und sprühten ihr etwas unter die Zunge.
»Was ist mit ihr?«, fragte Guardino und trat ans Kopfende des Betts.
»Wahrscheinlich ein schwerer Schlaganfall«, murmelte die Schwester, die gerade Alicias Blutdruck maß. »Mit ihr geht es zu Ende. Soll ich einen Tropf legen?«
»Nicht nötig. Sie will nicht reanimiert werden«, erklärte Alicias Betreuerin. »Keine CPR , keine besonderen Maßnahmen.«
»Dann können wir nichts weiter tun«, erwiderte eine andere und trat vom Bett zurück.
»Kein Puls mehr.«
»Jetzt tun Sie doch endlich was«, forderte Guardino. »Sie können sie doch nicht einfach sterben lassen.«
»Wir dürfen nichts tun. In der Patientenverfügung –«
»Diese Frau ist eine wichtige Zeugin. Von dem, was sie weiß, könnte das Leben eines Mädchens abhängen. Das setzt jede Patientenverfügung außer Kraft.«
Zwei der Schwestern blickten die dritte an. »Tut mir leid, Agent Guardino. Wir können nichts mehr für sie tun. Sie ist tot.«
Cindy ließ Felix noch Alicias zusammengesunkenen Körper einfangen, von ihrem hochgeschobenen Hauskleid bis zu ihren starren Augen, die das letzte Mal geblinzelt hatten, und ihren zu nutzlosen Klauen erstarrten Händen. Dann verließen sie das Zimmer, bevor man sie hinauswerfen konnte.
»Mannomann, was für eine Scheiße«, meinte Felix.
Cindy grinste und warf ihm dann einen zornigen Blick zu, während sie sich fragte, ob er überhaupt das Zeug hatte für diesen Job. »Soll das ein Witz sein? Das Material bringt mich auf Sendung!«
»Das können Sie doch nicht verwenden. Das ist vollkommen unethisch und unmoralisch, das ist –«
»Das ist die pure Einschaltquote, Kleiner. Pure diamantenbesetzte Einschaltquote.«
***
Lucy hätte am liebsten geschrien vor Frustration, aber sie beherrschte sich.
»Treten Sie von der Leiche zurück«, ordnete sie an. »Das hier ist ein Tatort.«
»Das können Sie nicht machen«, erklärte ihr die Schwester, die sich geweigert hatte, Alicia wiederzubeleben.
»Schon geschehen«, entgegnete Lucy und holte ihr Handy hervor. »Detective Burroughs, begleiten Sie diese Frauen in einen Raum, in dem sie befragt werden können. Und dann halten Sie Mrs Ames und ihren
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