Schlangenblut (German Edition)
Sachen sauber sind, kann sie meinetwegen anziehen, was sie will. Ich hatte keine Lust, ständig mit ihr zu streiten.«
»Und jetzt sind die Sachen weg? Hatte sie denn sonst gar nichts?« Lucy öffnete nacheinander die Schubladen der Kommode. Die oberen waren mit Unterwäsche und Socken vollgestopft – wild durcheinander und nicht gefaltet, wie Lucy zu ihrer Erleichterung feststellte, weil es ihr zeigte, dass Ashley keine zwanghafte Pedantin war –, die unteren waren leer.
»Sie hat vor ein paar Wochen ein paar Sachen an die Wohlfahrt gegeben, weil sie ihr angeblich sowieso nicht mehr passten.« Melissa linste in die leeren Schubladen, und auf ihrer mit Botox behandelten Stirn bildete sich eine Falte. »Aber sie wird doch wohl nicht alles weggegeben haben …«
»Mein Gott – du hast keine Ahnung, was mit deiner Tochter los war!«, wetterte Gerald.
»Halt’s Maul! Tu bloß nicht so, als ob du mehr über sie gewusst hättest!«
Lucy trat zwischen die Eltern. »Worum ging es bei dem Streit? Ich meine den, nach dem sie weggelaufen ist.«
»Sie wollte einen Vorschuss auf ihr Taschengeld – fünfhundert Dollar. Ich hab ihr gesagt, sie kriegt das Geld nur, wenn sie mir sagt, wofür. Aber das wollte sie nicht. Wir haben gestritten, und am nächsten Morgen war sie weg.«
»Hat sie es Ihnen auch so erzählt?«, fragte Lucy Gerald.
»Sie wollte mir nicht sagen, worum es bei dem Streit gegangen war. Ich habe ihr das Frühstück gemacht und bin dann mit ihr einkaufen gegangen, aber sie war nur an diesen verdammten hässlichen Schuhen interessiert. Dann habe ich sie nach Hause gefahren zu ihrer Mutter.«
Warum hatte Lucy plötzlich das Gefühl, dass Ashley noch das reifste Mitglied der Familie Yeager war? »Hat sie in letzter Zeit irgendwie deprimiert oder launisch gewirkt?«
»Nein«, erklärte Gerald.
»Ja.« Melissa wurde blass. »Sie meinen, weil sie ihre Kleider weggegeben hat, könnte sie mit dem Gedanken gespielt haben, sich umzubringen? Nein, niemals, das würde sie mir doch nicht antun.« Sie sank aufs Bett und begann, sich die Schläfen zu reiben, als habe sie Kopfschmerzen.
»Wir haben noch nicht genügend Informationen, um irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen, Mrs Yeager. Hat Ashley in letzter Zeit zu- oder abgenommen? Irgendwelche neuen Freunde? Oder vielleicht Streit mit alten Freunden?«
Beide Eltern wirkten ratlos.
»Können Sie uns eine Liste ihrer Freunde geben? Besonders von guten Freundinnen oder Jungs.«
»Ich habe ihre Klassenliste von der Schule. Sie war sehr beliebt. Aber männliche Bekanntschaften haben wir nicht erlaubt.«
Lucy ging nicht weiter darauf ein, dass die Mutter von ihrer Tochter in der Vergangenheitsform sprach. »Ich weiß, dass diese Fragen vielleicht schwer für Sie sind, aber sie sind wichtig. Nimmt Ashley irgendwelche Medikamente? Bekommt sie regelmäßig ihre Periode? Irgendwelche Anzeichen von Alkohol- oder Drogenmissbrauch?«
Gerald wandte den Blick ab, sein Rücken gebeugt, die Hände tief in die Taschen geschoben, was die perfekte Bügelfalte seiner Hose beeinträchtigte. Melissa starrte auf den Boden, wie gebannt von dem beigefarbenen Teppich, und schüttelte wieder den Kopf, dass ihr Pferdeschwanz wie eine Peitsche auf die nackte Haut ihres Nackens schlug.
»Nein, weder Drogen noch Medikamente. Aber es ist schon eine Weile her, dass sie ihre Periode hatte – was bei Mädchen in ihrem Alter aber nicht ungewöhnlich ist. Das hat nichts zu bedeuten.« Sie blickte auf. Niemand außer Lucy schaute ihr in die Augen. »Oder?«
»Du egozentrisches Luder!«, durchschnitt urplötzlich Geralds Angriff die Stille im Raum. »Warum, glaubst du, trug sie wohl den ganzen Sommer über sackartige Klamotten? Und wozu brauchte sie wohl Geld? Du hast unser kleines Mädchen zu einer Hure gemacht, genau wie ihre Mutter eine ist, und jetzt ist sie weggelaufen, um abzutreiben!«
»Wie kannst du es wagen, mich als Hure zu bezeichnen! Du warst doch derjenige, der seinen Schwanz nicht in der Hose behalten konnte.« Melissa sprang mit hocherhobenen Händen auf, die Finger wie Krallen auf sein Gesicht gerichtet.
Zum Glück trat der gute Walden von einer Seite an sie heran, umfasste mühelos ihre Taille und zog sie zurück aufs Bett, wo sie in einem Berg von geblümtem Chintz landete.
Der Typ von der Pittsburgher Polizei, Burroughs, kam ins Zimmer gestürmt, blieb aber abrupt stehen, als er sah, dass alles unter Kontrolle war.
»Agent Walden, gehen Sie doch bitte mit Mrs
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