Schlangenblut (German Edition)
stammen können.
Vielleicht war er deshalb geblieben. Er fühlte eine Art Geistesverwandtschaft zu dem Mädchen der Yeagers. Auch ihre Tage und Nächte schienen voller Apathie gewesen zu sein, wie die einer Schlafwandlerin. Bis sie es nicht mehr ausgehalten hatte.
Traurige Geschichte – der Mensch, mit dem er sich jetzt am engsten verbunden fühlte, war ein Mädchen, das höchstwahrscheinlich längst tot war.
»Möchten Sie was trinken?«, fragte er Yeager, nachdem er den Mann ein paar Minuten hatte schmoren lassen. »Ein Glas Wasser vielleicht?«
»Nein.« Yeagers Blick wanderte immer wieder zum Haus, als erwartete er, dass jemand sie unterbrach.
Wer?, fragte sich Burroughs. Ashley? Das würde heißen, dass er unschuldig war. Oder er war schuldig und konnte ihm einfach nicht in die Augen sehen.
»Ich mache mir ein paar Notizen, damit ich nichts vergesse, in Ordnung?« Burroughs zog seinen Digitalrekorder aus der Tasche und schaltete ihn ein. Yeager schien das nicht einmal zu bemerken. »Erzählen Sie mir von diesem Fotografen, diesem Tardiff.«
Damit hatte er bei Yeager offenbar einen Nerv getroffen, denn der Mann begann leicht zu zittern, obwohl sein Gesicht weiter ohne jeden Ausdruck blieb. Aber selbst diese minimale Reaktion war bereits mehr als das, was Burroughs von dem Mann bislang gesehen hatte, und das bisschen, das durch den Riss in Yeagers Maske nach außen drang, sagte ihm, dass Yeager Tardiff hasste. Sehr sogar.
Gut so. Ein wenig Hass half, die Seele bloßzulegen.
»Er hat schon mal versucht, meine Ehe zu zerstören«, sagte Yeager und lachte höhnisch. »Er wollte meine Familie zerstören, wollte sie mir wegnehmen.«
Burroughs nickte nur mitfühlend, während Yeager weitersprach.
»Er ist ein bekannter Modefotograf mit Künstlerambitionen. Als Melissa nach Ashleys Geburt ein Comeback versuchte, haben sie angefangen zusammenzuarbeiten. Aber er wollte künstlerischere« – Yeager zeichnete beim letzten Wort Anführungszeichen in die Luft –, »intimere Fotos machen. Nicht nur von ihr, sondern auch von Ashley. Melissa hat mich nie gefragt, mir nie davon erzählt. Erst nachdem ich die Bilder zu Gesicht bekommen hatte. Sie waren in New Yorker Galerien ausgestellt, wo sie ziemlich Furore machten. Geschlafen hat er mit Melissa auch.«
Letzteres war nur ein Nachtrag. Yeager störte nicht der Sex, sondern die Tatsache, dass er die Kontrolle über sein Eigentum verloren hatte. Familie als Besitz.
Burroughs brachte ein paar Notizen zu Papier, aber nichts, was den Vater als Verdächtigen abgestempelt hätte, schließlich wollte er der Verteidigung keine Munition liefern. Sein Gekritzel sollte lediglich den Eindruck erwecken, dass er Yeagers Tiraden aufmerksam zuhörte.
Doch Yeager sagte nichts weiter, sondern saß nur stocksteif da, ohne mit dem Rücken die Polsterung der Stuhllehne zu berühren.
»Haben Sie die Kinderschutzbehörde eingeschaltet? Oder Anzeige erstattet?«
Yeager wirkte entrüstet. »Natürlich nicht. Ich wollte doch nicht, dass wildfremde Menschen in meinem Privatleben herumstochern. Es war schon schlimm genug, dass diese Fotos im Umlauf waren, gekauft und verkauft wurden. Melissa hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie von ihr waren, schließlich haben sie ihrer Karriere wieder auf die Sprünge geholfen. Wenigstens für ein paar Jahre.«
»Haben Sie Tardiff zur Rede gestellt? Ihn gefragt, ob mehr geschehen ist, etwas, das über die Fotos hinausging?«
»Was hätte das genützt? Der Schaden war bereits angerichtet.«
Burroughs kratzte sich mit seinem Stift an der Wange und klappte sein Notizbuch zu. Ihm war klar, dass Yeager keine konkreten Hinweise hatte, sondern lediglich einen lange gehegten Groll, der mehr mit verletztem Stolz zu tun hatte als mit einem möglichen Missbrauch seiner Tochter.
»Dann bedanke ich mich vielmals, Mr Yeager.« Er ließ den Vater im Schatten sitzen, um nachzusehen, was Guardino im Schilde führte. Sie war unendlich viel interessanter als der eiskalte Vater.
Sie war noch immer im Zimmer des Mädchens, wo sie im Schneidersitz auf dem Boden saß. Um sich herum hatte sie auf dem beigefarbenen Teppich verschiedene Gegenstände ausgebreitet. Sie wirkte fast wie eine Archäologin, die anhand weggeworfener Artefakte einen ausgestorbenen Stamm zu rekonstruieren versuchte.
»Irgendwas Brauchbares?«, fragte Burroughs von der Tür aus.
Sie winkte ihn zu sich. Er setzte sich neben sie und deutete mit seinem Kugelschreiber auf ihre Schätze. Sie
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