Schlangenblut (German Edition)
haben, Miss Ames.«
»Ja.« Die einzelne Silbe kam wie abgehackt. Ames presste ihre Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, die kreidebleich unter ihrem weinroten Lippenstift durchschimmerte.
Lucy trat zurück. »Sehr gut. Dann bedanke ich mich für Ihre Mitarbeit. Aber Sie wollen doch bestimmt die Pressekonferenz nicht versäumen, deshalb lassen wir Sie jetzt besser weiterfahren.«
Ames warf ihr noch einen finsteren Blick zu, ein höhnisches Grinsen auf den Lippen. »Nur gut, dass ich meinen Kameramann nicht dabeihatte. Eine Frau mit Ihrem Teint sollte niemals Pastelltöne tragen.«
Mit diesen Worten setzte Ames sich in ihren Wagen, zupfte im Rückspiegel ihr Haar zurecht, wendete den BMW und raste zurück.
»Gut gemacht«, merkte Burroughs an, als sie weiterfuhren. »Aber Ihnen ist hoffentlich klar, dass Ihnen das noch leidtun wird.«
»Das ist mir egal, solange ich mir damit Ames vom Leib halte, bis wir Ashley gefunden haben.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Aber abgesehen davon: Ich finde, Sie sehen richtig gut aus in diesem Oberteil.«
Lucy blickte auf den babyblauen Sweater hinab, den Megan ihr vor zwei Tagen zum Geburtstag geschenkt hatte. Ames hatte recht: Die Farbe stand ihr nicht. Manchmal fürchtete sie schon, Megan könnte die Farbenblindheit ihres Vaters geerbt haben. Der Strickpulli war in der Hitze zwar ganz bequem, aber vielleicht ein wenig zu enganliegend. Burroughs’ Blick wanderte zu ihrem Busen, nicht zum ersten Mal.
Sie griff nach ihrem Handy. »Meine Tochter liegt krank zu Hause, ich muss mal kurz anrufen.«
Das ärgerliche Tuten begrüßte sie. »Na wunderbar. Besetzt. Das heißt, sie spricht auf beiden Leitungen gleichzeitig.« Sie wählte die Nummer von Nicks Büro.
»Dr. Callahan bitte«, bat sie die Vermittlung. »Ich bin seine Frau. Danke.« Sie wartete darauf, verbunden zu werden. »Hallo, ich wollte dir nur sagen, dass es bei mir länger dauern kann. Ich habe mich schon mit einer Reporterin angelegt, also sei vorsichtig. Hast du auf deiner Mailbox meine Nachricht wegen Megan bekommen?«
»Hallo. Ja, hab ich, und ich habe mit ihr gechattet. Sie sagt, es geht ihr gut, und will wissen, ob sie sich zum Mittagessen Makkaroni mit Käse machen darf.«
Lucy lachte, im Gegensatz zu ihrem Mann und ihrer Tochter chattete und simste sie nie. Selbst E-Mails schrieb sie nur selten. In ihrem Job brachten die Wunder der modernen Kommunikationstechniken mehr Risiken als Nutzen mit sich.
»Ihrem Hals kann es so schlecht nicht gehen. Gerade waren beide Leitungen besetzt.«
»Hast du deine Bösewichter nicht geschnappt?«
»Doch, aber dann wurde ich wegen einer anderen Geschichte angerufen. Hör mal, dieser Fall ist ziemlich schwierig, ich weiß noch nicht, wann ich da rauskomme.«
»Dachte ich mir fast. Deshalb hab ich auch schon deine Mutter angerufen. Heute Abend hat sie eine Verabredung, aber morgen könnte sie kommen, wenn wir sie bräuchten.«
»Danke, ich hätte mir denken können, dass du – Moment mal, hast du gesagt, sie hat eine Verabredung? Mit wem denn? Wir reden hier schließlich von meiner Mutter, Coletta Guardino, der letzten der trauernden italienischen Witwen!«
Sein Lachen hallte in dem winzigen Headset wider. »Sie sagt, sie hätte ihn im Internet kennengelernt – in einem Forum für Katholiken, die ihren Ehepartner verloren haben.«
Lucy verlor einen Augenblick lang die Konzentration, die Vorstellung, dass ihre Mutter ihre Trauerkleidung ablegen könnte, brachte sie aus der Fassung. Ein Rendezvous mit einer Internetbekanntschaft? Was dachte sich die Frau eigentlich dabei? Wusste sie denn nicht, welche Verbrecher da draußen auf sie lauerten?
»Hat sie dir gesagt, wie der –« sie hätte fast »Täter« gesagt – »Typ heißt?«
»Nein, hat sie nicht. Wahrscheinlich hatte sie Angst davor, dass du sein Strafregister überprüfen und ihn überwachen lassen könntest. Sie meinte, sie würde dir alles morgen erzählen und du solltest dir mal keine Sorgen machen.«
Keine Sorgen? Ihre neunundfünfzigjährige Mutter, seit einem Vierteljahrhundert verwitwet, wagte sich zurück auf die Bühne der Partnersuche – und das ausgerechnet mit einem Fremden, den sie in dem finsteren Winkel irgendeines Chatrooms kennengelernt hatte? »Ich fasse es nicht.«
Nicks Stimme war ruhig und beschwichtigend – eine der wenigen Eigenschaften, die sie an ihrem Mann hasste. Sie schaffte es zwar, sich auch im größten Chaos und in der kritischsten Situation ruhig zu geben,
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