Schlangenhaus - Thriller
IED, Intermittent Explosive Disorder, also grundlosen Wutanfällen. Ich weiß nicht, ob Ihnen diese beiden Begriffe vertraut sind.«
Ich gab mir alle Mühe. »Paraphil bedeutet unangemessenes Sexualverhalten, nicht wahr?«
»So ziemlich. Freds Symptome waren sowohl Exhibitionismus als auch Frotteurismus. Wir haben ihn dabei ertappt … nun ja, bestimmt brauche ich Ihnen keine Details zu schildern. Aber die andere Störung hat uns mehr Kopfzerbrechen bereitet. Das IED. Natürlich hat er Medikamente bekommen, eine Kombination aus Antidepressiva und Stimmungsstabilisatoren. Monatelang war er friedlich, war bei allem, worum wir ihn gebeten haben, absolut zugänglich, und dann hat er ohne ersichtlichen Grund einen Wutanfall bekommen. Wenn das passiert ist, musste er fixiert werden. Er war sehr stark. Und es schien ihm völlig egal zu sein, was er dabei anrichtet.«
Ich wartete; ich ahnte, dass sie mir noch mehr zu sagen hatte.
»Wir haben es vermieden, ihn mit Patientinnen allein zu lassen, sogar mit den Mitarbeiterinnen.«
»Ist er noch bei Ihnen?«, fragte ich, während mir jäh die Nacht vor Augen stand, in der ich allein mit einem Mann gewesen war, der in mein Haus eingebrochen war; wie er mich angesehen, mich angefasst hatte.
»Das mit den Schlangen …« Rose Scott schien meine Frage nicht gehört zu haben. »Das war wirklich merkwürdig. Er schien sie fast zu erspüren. Er ist in den Wald gegangen, dorthin, wo sie seiner Meinung nach sein würden, und hat sich
flach auf den Boden gelegt, fast so, als würde er nach ihnen lauschen. Nur …«
»Dass er nicht hören konnte«, vollendete ich den Satz für sie.
»Genau. Und er konnte so gut mit ihnen umgehen. Er hat Kreuzottern angeschleppt und uns allen eine Heidenangst eingejagt, aber sie haben ihn nie gebissen, nicht ein einziges Mal.«
Ich überlegte, ob Sean Ulfred als Menschen betrachten würde, der eins mit den Schlangen war, der mit irgendetwas Göttlichem in Verbindung stand. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich das alles für Quatsch hielt, doch der Gedanke, dass jemand ohne jegliche Angst mit Giftschlangen herumhantierte, behagte mir wirklich nicht.
»Und ist er noch …« Der Haupteingang der Klinik hatte sperrangelweit offen gestanden, als ich vorhin dort angekommen war. Und ich hatte keinen Zaun gesehen, der das Grundstück umgrenzt hätte.
»Seinen Unterlagen nach hatte er keine Angehörigen.« Diesmal musste Mrs. Scott mich gehört haben. Sie wich meiner Frage aus. »Wenn Patienten länger bei uns sind«, fuhr sie fort, »halten wir routinemäßig Kontakt zu den nächsten Verwandten, aber in Freds Fall haben wir nie eine Rückmeldung bekommen, jahrelang nicht. In der ganzen Zeit, seit ich hier bin, hat er nur einmal Besuch bekommen. Ist auch noch gar nicht lange her. Ein großer, sehr gut aussehender Mann.«
Clive Ventry war ein großer, sehr gut aussehender Mann. Er hatte Kontakt mit Ulfred aufgenommen. Ich musste mich beherrschen, Rose nicht abzuwürgen und auf der Stelle Matt anzurufen. Ich wollte mich wieder auf den Weg machen, wollte zurück ins Dorf. Verdammt, ich würde sogar Tasker anrufen, wenn es sein musste. Mit aller Kraft zwang ich mich, ruhig zu bleiben. Je mehr Rose mir erzählen konnte, desto besser.
Sie redete noch immer. »Er hat gesagt, er käme nicht aus England. Einen Akzent hatte er auch.«
Natürlich hatte er einen Akzent, er hatte jahrzehntelang in Südafrika gelebt.
»Er hat Ulfred irgendwelche Eier geschenkt.« Dass ich nicht antwortete, schien Rose nicht zu stören. Sie musste gespürt haben, dass ich ihr wie gebannt zuhörte. »Sechs Stück«, fuhr sie fort. »Ungefähr so groß wie Enteneier, aber mit ledriger Schale. Das wären Schlangeneier, hat er gesagt, die hätte er bei einer von seinen Reisen gefunden. Sie wären tot, das hat er ziemlich deutlich betont, sonst hätten wir Ulfred nicht erlauben dürfen, dass er sie behält.«
Ich ertappte mich dabei, wie ich mich umsah, die Straße hinauf- und hinunterblickte. Nachdem ich der Polizei die ganze Nacht und den größten Teil des Tages aus dem Weg gegangen war, hätte ich jetzt alles dafür gegeben, hier und jetzt festgenommen zu werden. Kommen Sie schon, Rose, weiter!
»Ulfred hatte schon eine Schlange. Eine Kornnatter, ein hübsches kleines Ding, vollkommen harmlos. Wir hatten gehofft, er würde dann aufhören, wilde Schlangen einzufangen. Er hat die Eier zu der Kornnatter in den Käfig gelegt, um sie warm zu halten, hat er gesagt. Wir haben ihn machen
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