Schlangenlinien
Sohn in Wirklichkeit seiner ist?«
Ich zog heftig meine Hand weg. »Du hast gesagt, du hättest ihn nicht erkannt.«
Er gab wieder Gas. »Die Gesichter von Männern, die mich eifersüchtig machen, vergesse ich nie.«
»Solche Männer hat's doch gar nicht gegeben.«
»Das glaubst du.« Er beugte sich vor, um Feuchtigkeit von der Scheibe zu wischen. »Wo holen wir die Jungs ab?«
»Hinter der Drehbrücke.«
»Dann mach dich schon mal auf verlegenes Schweigen gefasst«, warnte er mich. »Ich habe gesehen, wie sie sich klammheimlich hinter einem der anderen Autos versteckt haben. Es ist also damit zu rechnen, dass sie jedes Wort gehört haben.«
»Ach, Mist«, sagte ich, plötzlich müde, und lehnte meinen Kopf nach hinten ins Polster. »Ich habe ihnen extra gesagt, sie sollen verschwinden.«
»Tja, da wird eben die Neugier gesiegt haben. Du kannst es ihnen nicht übel nehmen. Wir haben uns beide in letzter Zeit reichlich merkwürdig verhalten. Das könnte mit Danny zu Schwierigkeiten führen«, fügte er hinzu. »Und ich werde in Bezug auf Libby reinen Tisch machen müssen – warum ich gelogen habe – warum ich Annie einfach liegen gelassen habe. Es ist nur recht, dass sie die Wahrheit von mir erfahren.«
»So war das überhaupt nicht meine Absicht, Sam«, sagte ich und seufzte. »Ich wollte dich allein mit Drury konfrontieren, weil ich Angst hatte, du würdest mir nicht glauben, wenn ich es dir unvorbereitet erzählte.«
»Du hättest mir vertrauen sollen«, sagte er leichthin. »Ich habe mich verändert. Vor zwanzig Jahren schon.«
»Ich weiß.« Ich spürte die Tränen hinter meinen Augen. »Aber ich habe einfach nie den rechten Moment gefunden, um es dir zu sagen. Es tut mir Leid.«
»Mir nicht«, erklärte er, plötzlich voll lachenden Überschwangs. »Du hast mehr Courage als die meisten Leute, die ich kenne, und es wird allmählich Zeit, dass die Jungs erfahren, was für eine außergewöhnliche Mutter sie haben.« Er schlug mit beiden Händen klatschend auf das Lenkrad. »Ich muss immer an dieses chinesische Sprichwort denken, mit dem Jock mir neulich kam. Es ist eine Variation zu dem Thema ‘Man muss nur warten können’«– mit einem breiten Lächeln wandte er sich mir zu –»und es passt ganz ausgezeichnet auf die derzeitige Lage der Dinge.«
»Wie heißt es denn?«
»‘Wenn du lange genug am Fluss sitzen bleibst, werden die Leichen all deiner Feinde vorübertreiben.’«
Vor diesem Abend glaubte ich immer, ich kenne den Mann, den ich geheiratet hatte, jetzt aber weiß ich, dass ich hundert Jahre alt werden könnte und es mir trotzdem nicht gelingen würde, die menschliche Natur in all ihren überraschenden Facetten zu begreifen. Ich weiß nicht, was er zu den Jungen sagte, aber was auch immer, sie behandelten mich danach vierundzwanzig Stunden lang wie ein kostbares antikes Stück, bis ich schließlich aus reiner Frustration zu wettern begann und wieder Normalität einkehrte. Sorgfältig vermieden sie jede Bemerkung über die Slaters; sie begriffen, dass es ein Unterschied ist, ob man eine Narbe zeigt oder ertragen muss, dass sie von ständigem Befühlen wieder aufbricht.
Aber natürlich war das ein Thema, das man nicht ewig unter den Teppich kehren konnte, und so gestand mir Tom am Samstagabend, nachdem er sich eine Weile gekrümmt und gewunden hatte, dass sie sich eigentlich mit Danny Slater zu einem Bier treffen wollten, nun aber nicht mehr sicher waren, ob sie an der Verabredung festhalten sollten. Sam und ich erklärten in schönem Einklang, Danny könne nichts für das, was sein Bruder und sein Vater mir angetan hatten, und es wäre nicht fair, ihm davon zu erzählen. Lasst ihm seine Ahnungslosigkeit, lautete unser Rat.
»Hat Dad dir schon gesagt, dass er Danny vielleicht den Stall als Atelier zur Verfügung stellen will?«, fragte Tom mich. »Vorausgesetzt natürlich, wir kaufen die Bude hier.«
»Im Augenblick ist das nur eine Idee«, erklärte Sam, »aber ich finde, er soll wissen, dass wir nicht nur Gutwetterfreunde sind.«
»Er müsste ziemlich primitiv hausen«, warf Luke ein, »weil Dad ihm nicht erlauben würde, im Haus seine Joints zu paffen. Aber er kann ja die alte Sattelkammer ausräumen und sich's da gemütlich machen. Strom gibt's auch, und die alten Pferdeboxen sind groß genug, dass man drin arbeiten kann. Er müsste nur noch versuchen, von einem der Steinbrüche kostenloses Material zu bekommen, und schon könnte er sich hier als Bildhauer niederlassen, ohne
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