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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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sehr für mich selbst wie für Sharon, denn ich wusste nur zu gut, was es hieß, in einer Atmosphäre von Zweifel und Misstrauen zu leben. Man schwimmt oder man geht unter, man kämpft oder man streckt die Waffen – und ganz gleich, welchen Weg man wählt, man geht ihn allein.
    Geoffrey schüttelte unsicher den Kopf.
    Ich kniete unvermittelt vor Sharon nieder und umfasste ihre Hände. »Verkaufen Sie Ihr Haus und gehen Sie weg von hier«, drängte ich sie. »Streichen Sie diesen Mann aus Ihrem Leben und machen Sie einen neuen Anfang. Freunden Sie sich mit Bridget an, helfen Sie Michael, den richtigen Weg zu finden. Er braucht die Liebe seiner Mutter genauso sehr wie die seiner Frau – und das zumindest schulden Sie ihm. Er hielt Sie für eine Mörderin, Sharon, aber er hat Sie in Schutz genommen – und er versteht nicht, warum Sie so schnell bereit waren, ihn im Stich zu lassen. Kämpfen Sie für ihn. Seien Sie die Mutter, die er sich wünscht.«
    Sie war zu benommen, um zu begreifen, wovon ich sprach, und blickte hilflos von mir zu Geoffrey, so fest verhaftet in ihrer Unterwürfigkeit Männern gegenüber, dass sie immer tun würde, was er sagte.
    Vom Sofa aus rief Maureen triumphierend: »In unserer Straße hat's immer nur ein Flittchen gegeben, und mit der ist's jetzt aus und vorbei, weil die Wahrheit über sie rausgekommen ist. Erzählen Sie das mal der Polizei, dann werden Sie schon sehen, ob die das bisschen Krempel interessiert, das wir uns unter den Nagel gerissen haben.«
    Ich hätte sie am liebsten umgebracht. Mit Freuden hätte ich ihren sehnigen Hals mit meinen Fingern umschlossen und das ganze Gift aus ihr herausgepresst. Stattdessen stand ich auf und griff zu meinem Rucksack. »Annie hat Sharon nie als Flittchen bezeichnet, Maureen. Sie nannte sie eine ‘Hure’. Das haben Sie selbst mir erzählt.«
    Ihr blieb der Mund offen stehen. Ausnahmsweise war sie sprachlos, weil sie wusste, dass ich Recht hatte. Ich hatte ein unbändiges Verlangen, zu schreien und zu kreischen, mit den Füßen zu stampfen, meine Frustration in den Wind zu brüllen. Ich hatte auf das Wunder gehofft, das mir beweisen würde, dass ich mich täuschte; nun war ich nur tieftraurig und todmüde.
    »Und ich würde mich an Ihrer Stelle nicht darauf verlassen, dass die Polizei Sie ungeschoren davonkommen lässt«, fuhr ich so beherrscht fort, dass meine Mutter, hätte sie mich in diesem Moment erlebt, mir Beifall gespendet hätte. »Ihr einziger Schutz war immer nur das Schweigen der anderen. Solange Sie Geheimnisse hatten, die verborgen bleiben mussten, waren Sie sicher.« Ich zuckte die Achseln. »Aber es gibt keine Geheimnisse mehr, Maureen. Und was folgt daraus für Sie?«
    Derek lachte plötzlich ganz unerwartet. »Ich hab ihr gleich gesagt, dass Sie niemals lockerlassen würden«, sagte er, »aber sie wollte nicht auf mich hören. Lehrerinnen wären viel zu zimperlich, hat sie immer gesagt, um die Boxhandschuhe rauszuholen und zu kämpfen.«

    Maureen verfolgte Wendy und mich zur Tür, verlangte Antworten, die ich verweigerte. Wer es denn getan habe, wenn nicht Sharon? Was ich der Polizei erzählen würde? Was ich überhaupt an Beweisen für irgendetwas hätte? Ihre Lippe war aufgeschwollen von dem Hieb, den ich ihr versetzt hatte. Sie packte mich am Ärmel, um mich aufzuhalten, und drohte mir mit einer Klage, falls ich ihr nicht eine »beschissene« Erklärung gäbe.
    Ich riss mich von ihr los. »Bitte, nur zu«, sagte ich. »Ich sage Ihnen gern, wo ich zu erreichen bin – bei Mr. Jock Williams in der Alveston Road 7 in Richmond. Also schicken Sie die Polizei ruhig vorbei. Dann brauch ich sie wenigstens nicht selbst zu holen. Und was weitere Erklärungen angeht«– ich schüttelte den Kopf –»vergessen Sie's. Was Sie nicht wissen, kann Ihnen nicht nützen, und ich tu bestimmt nichts mehr, was Ihnen einen Vorteil verschaffen könnte.«
    Ich wandte mich Alan zu, der im Schatten des düsteren Flurs stand. »Ich habe allen Grund, Sie zu hassen und zu verachten«, sagte ich, »aber ich glaube, Ihre Frau ist die eine unter Millionen, die das Zeug dazu hat, Sie von Ihrer Mutter zu befreien. Darum kann ich Ihnen nur raten, fahren Sie nach Hause und nehmen Sie Ihren Vater mit. Wenn Beth die Wahrheit über Sie von Derek erfährt, wird sie vielleicht verstehen und verzeihen. Das wird sie niemals tun, wenn sie sie von Ihrer Mutter erfährt.«

    »Du meine Güte!«, stieß Wendy kurzatmig hervor und drückte die Hand auf ihr flatterndes

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