Schlangenlinien
eingerichtet mit mehreren bequemen bunten Sesseln, einem Sofa an der Wand und einem großen Fernsehapparat in der Ecke. Das Gerät war schon eingeschaltet, es lief irgendein Vormittagsmagazin. Auf dem Sofa lag eine zerdrückte Steppdecke, und in der Luft hing dichter Zigarettenqualm. Maureen hatte entweder die ganze Nacht hindurch ferngesehen oder sehr früh damit angefangen. Sie schloss die Tür, als wir an dem Zimmer vorüberkamen, um die Fernsehgeräusche abzuschwächen.
Maureens Haus war ein Eckhaus, aber es hatte den gleichen Grundriss wie unser ehemaliges Haus. Jedes zweite Haus in der Zeile war so angelegt: Wohn- und Esszimmer rechts, Flur links, an der Treppe vorbei nach hinten zur Küche. Die dazwischenstehenden Häuser waren spiegelbildlich gebaut, sodass also auf der einen Seite sich Korridor an Korridor anschloss, auf der anderen Wohnbereich an Wohnbereich. Oben war es genauso: einerseits Schlafbereich an Schlafbereich, andererseits Treppenschacht an Treppenschacht. Um auch die Esszimmer mit Fenstern versehen zu können, hatte man die Küchen hinten versetzt angebaut; ihre Trennwände schlossen jeweils an die Korridorseiten der Nachbarhäuser an. Da beim Bau dieser Häuser moderne Schallschutzvorschriften noch nicht existiert hatten, lernten wir alle zwangsläufig unsere Nachbarn weit genauer kennen, als uns lieb war.
Genau darüber hatte Sam ständige Beschwerde geführt. Wir hätten, meinte er, »Lärmforschung« betreiben sollen, bevor wir Nummer 5 kauften. Auf der Korridorseite unseres Hauses – in Nummer 7 –, jener Seite also, wo man von den Geräuschen aus dem Nachbarhaus nicht viel mitbekam, wohnte ein altes Ehepaar, das sich selbst in der Küche nur im Flüsterton zu unterhalten schien. Auf der anderen Seite – in Haus Nummer 3 –, dort, wo nur eine papierdünne Wand die Wohnbereiche der beiden Häuser voneinander trennte – wohnten die Charles' mit ihren Kindern, deren nächtliches Geschrei uns wach zu halten pflegte. Einmal hatte Sam beide Nachbarn zu einem Drink zu uns eingeladen und vorgeschlagen, sie sollten um des lieben Friedens willen die Häuser tauschen, aber Paul Charles regte sich fürchterlich auf, als Sam einige Dinge aufzählte, die er durch die Wand gehört haben wollte, und behandelte ihn danach mit feindseliger Verachtung.
Ich hatte oft darüber nachgedacht, ob zwischen Annie und ihren Nachbarn eine ähnliche Situation bestanden hatte, wenn auch bei den zahlreichen Beschwerden, die gegen sie vorgebracht worden waren, von Lärm nie die Rede war. Vermutlich war sie da eher das Opfer gewesen und hatte stumm gelitten, während man ihr das Leben zur Hölle machte. Tatsache war jedenfalls, dass Michael Percy und Alan Slater den größten Spaß dabei gehabt hatten, sie in der Öffentlichkeit zu hänseln und zu verhöhnen, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie sie im Schutz ihrer vier Wände geschont haben sollten. Da hatten sie sie wahrscheinlich durch die Mauern mit ihren Gemeinheiten drangsaliert.
»Danny hat gestern Abend angerufen«, bemerkte Maureen. Sie zog einen Küchenstuhl heraus und drückte mich darauf nieder. »Sie sind ja anscheinend ganz groß angekommen bei ihm.«
Der leicht spöttische Ton reizte mich genauso wie alles andere an dieser Frau, und ich hatte Mühe, mir ein Lächeln abzuringen, um meine Abneigung zu verbergen. Immer schon hatte ich Maureen Slater für bösartig gehalten, daran änderte sich auch nichts, als ich von Wendy Stanhope hörte, wie brutal sie von ihrem Mann misshandelt worden war. Vielleicht kam es daher, dass ich sie für die Hass-Kampagne gegen Annie verantwortlich machte. Ich bin sicher, sie war sich über meine wahren Gefühle ihr gegenüber im Klaren, doch im Augenblick schien sie bereit, den Schein gutnachbarlicher Freundlichkeit zu wahren.
»Das beruht auf Gegenseitigkeit«, erklärte ich. »Danny ist ein sehr netter Junge.«
Sie hantierte mit Tassen und Untertassen. Ich hatte ihr im Lauf der Jahre unzählige Briefe geschrieben und Antwort auf meine Fragen gesucht, aber ihre erste und einzige Reaktion war der Brief gewesen, den ich in der vergangenen Woche von ihr erhalten hatte, die Zustimmung zu diesem Treffen. Ich vermutete, dass mein Kontakt zu Danny sie dazu bewogen hatte, ihr Schweigen aufzugeben, und hätte gern gewusst, ob sie einen Verdacht hatte, dass ich mich ihm ganz bewusst angenähert hatte, und ob sie sich Gedanken darüber machte, was er mir möglicherweise erzählt hatte. Denn es gab bestimmt eine Menge
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