Schlankheitswahn (Ein Fall für Lizzy Gardner) (German Edition)
und ging weiter. Die Wohnung, die sie suchte, befand sich am anderen Ende der Anlage. Obwohl Lizzys Schwester so nett gewesen war, ihr ein neues Paar Jeans und ein paar Blusen zu kaufen, trug Hayley die Klamotten, die ihreMutter ihr vor ein paar Jahren gegeben hatte – damals, als sie ernsthaft versuchte, von den Drogen und dem Alkohol wegzukommen. Ein paar Monate lang hatte sie es auch geschafft, und in dieser Zeit ging sie mit ihrer Tochter einkaufen.
Das war der schönste Tag in Hayleys Leben gewesen. Nicht, weil ihre Mutter ihr Kleider kaufte, sondern weil es das erste Mal war, dass sie zusammen so etwas taten. Den ganzen Tag lang sahen sie sich die Auslagen in den Schaufenstern an und aßen dann bei einem Chinesen. Mutter und Tochter beim gemeinsamen Shopping-Ausflug – es war ihr vorgekommen wie im Märchen. Und obwohl sie beide nicht besonders viel für Süßigkeiten übrig hatten, gingen sie an diesem Tag in einen Süßwarenladen, den sie zwanzig Minuten später mit einer Tüte Gummibärchen und schwarzer Lakritze verließen. Sie lachten noch tagelang darüber.
Während Hayley weiter durch die mondhelle Nacht lief, dachte sie daran, dass sie eigentlich niemandem etwas Böses antun wollte. Anderen Leuten wehzutun, war einfach nicht ihre Art. Bis vor wenigen Wochen hatte sie sich mit einer Therapeutin getroffen, einer freundlichen und geduldigen Dame, die Hayley immer wieder versicherte, dass ihr Hass auf die meisten Menschen mit der Zeit nachlassen würde. Wenn sie recht hatte, wäre das toll. Aber bevor es so weit war, musste Hayley noch eine dringende Sache erledigen. Und dabei stimmte es gar nicht mal, dass sie Menschen grundsätzlich hasste – nur ein paar widerwärtige, narzisstische Arschlöcher.
Natürlich wusste Hayley, dass ihr privater Feldzug gegen den Drogenhandel nur wenig bewirkte, selbst wenn sie ihn jede Nacht für den Rest ihres Lebens führen würde. Auch war sie intelligent genug zu wissen, dass es durchaus ein paar Dealer gab, die ihr Tun bereuten und ihr Leben ändern wollten, und das war ja auch gut so. Diese Menschen hatten heute Nacht nichts zu befürchten, zumindest nicht von ihr.
Aber das galt nicht für Peter.
Peter, der böse Wolf, musste für seine Schandtaten büßen.
»Hey, Süße, du kannst doch nicht einfach an mir vorbeigehen, ohne Hallo zu sagen.«
Der Typ war plötzlich aus der Dunkelheit aufgetaucht und lief dicht hinter ihr her. Hayley konnte praktisch seinen Atem in ihrem Genick spüren.
Sie griff in ihre Hüfttasche und fuhr blitzschnell herum. Dabei verrutschte ihre Perücke und die roten Haare fielen ihr ins Gesicht. Als sie dem Mann die Messerspitze vor die Nase hielt, glänzte die Klinge im Mondlicht.
Erschrocken wich er ein paar Schritte zurück und stolperte dabei beinahe über seine eigenen Füße.
»Komm nur her, Baby«, sagte Hayley. »Ich glaube, wir sollten uns mal unterhalten.«
Als der Mann erkannte, dass sie nicht mit dem Messer auf ihn losgehen würde, rückte er den Kragen seiner Jacke zurecht, drehte sich um und stapfte mit übertrieben großen Schritten davon. »Komm mir bloß nicht mit dem Messer, du Schlampe«, sagte er, bevor er wieder im Dunkeln verschwand.
Hayley ging weiter und vergaß den Kerl so schnell, wie er gekommen war.
Der Mond leuchtete hell am Himmel, sodass Hayley sich nicht gewundert hätte, gleich irgendwo einen Wolf heulen zu hören. Stattdessen hörte sie, wie jemand eine Tür mit lautem Knall zuschlug. Anscheinend wohnten in diesem Drecksloch viele frustrierte und wütende Menschen.
Ihre alten Turnschuhe der Marke Converse machten beim Gehen auf dem Asphalt kaum Geräusche. Das Paar hatte bei Goodwill fünfundsiebzig Cent gekostet. Sie waren wahrscheinlich deshalb so billig gewesen, weil der rechte Schuh ein riesiges Loch hatte.
Da war es ja … Apartment 103B.
Hayley suchte hinter einem Blumenkasten voll altem, vertrocknetem Laub Deckung, nahm den Rucksack von den Schultern und zog Hose und Schuhe aus. Falls der Typ von vorhin noch in der Nähe weilte und sie heimlich beobachtete, so war ihr das egal. Sie holte die Pillen aus der Hosentasche, dann griff sie in den Rucksack und zog einen knappen Minirock aus Stretchmaterial und ein paar knallbunte Schuhe mit acht Zentimeter hohen Absätzen heraus.
Für das Outfit einschließlich der Perücke hatte sie elf Dollar bezahlt – die reinste Abzocke.
Aber wenigstens war sie jetzt für ihre geplante Aktion angemessen gekleidet. Vorsichtig steckte sie die
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