Schlecht aufgelegt (German Edition)
Decke!»
«Aha», sagte Kuli.
Henk schlurfte auf sie zu. Auf einem schrabbeligen Holztablett balancierte er einen weiteren Milchkaffee und einen weiteren schwarzen Tee.
«Haben wir doch gar nicht bestellt», sagte Paul verdutzt.
Henk fixierte ihn mit bösem Blick. Jetzt kommt’s gleich, dachte Kuli.
«Geht aufs Haus», knurrte Henk stattdessen und knallte die Tasse und den Becher auf den Tisch, sodass die Hälfte der Getränke auf dem Tisch landete.
«Da… danke», sagte Paul, und Kuli beeilte sich, es ihm gleichzutun.
«Ich mag das auch nicht, wenn die immer alles vertuschen», sagte Henk noch, dann ging er zurück zu seinem Tresen.
Kuli schüttete drei Tüten Zucker in seinen Tee. So langsam gefiel es ihm hier. Paul trank seinen Milchkaffee.
«Aaaah», sagte er genüsslich.
«Aber wie willst du ihn denn drankriegen?», fragte Kuli.
«Wen?»
«Na, ihn !»
Paul guckte jetzt wie Columbo, Rockford und Miss Marple zusammen. «Er wird versuchen, uns zu bestechen», sagte er mit zusammengekniffenen Augen.
«Aha», erwiderte Kuli erneut. Dieses Mal allerdings etwas spöttisch. Paul ließ sich nicht beirren.
«Er wird uns Geld anbieten, damit wir schweigen», sagte er. «Und wenn er das macht, gehen wir darauf ein. Natürlich nur zum Schein. Das ist so gut wie ein Schuldeingeständnis seinerseits. Damit haben wir ihn. Und dann gehen wir zum Kommissar Bernauer.»
«Ach?»
«Heute Abend suchen wir uns eine andere Telefonzelle und …»
«Ich nicht», unterbrach Kuli und hob die Hand.
«Was?»
«Nicht heute», sagte Kuli bestimmt. «Ich hab zu tun. Kann ich nicht aufschieben. Ehrlich.»
Paul schwieg verdrossen. Kuli musste grinsen und freute sich. Jetzt wusste er es wieder. Ragetti hieß der Pirat!
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Froschscheiße
P aul und Kuli fuhren getrennt zur Arbeit. Paul hatte irgendwas von einem wichtigem Telefonat gefaselt, das ganz und gar nicht aufzuschieben sei, Bankgeschäfte, total privat, also, da wäre es ihm schon wichtig, dass er dabei alleine wäre, das müsse er, Kuli, einfach verstehen. Kuli verstand. Sie waren zusammen die Friesenstraße hinunter, dann war Kuli über die Zossener Straße zurück zur U-Bahn-Haltestelle an der Gneisenaustraße gelaufen, während Paul weiter die Bergmannstraße entlanglief, eine der Vorzeigestraßen Berlins, die auch um diese Uhrzeit schon voller neugieriger Touristen in – wie Paul fand – sinnlosen Geschäften und schlechten Cafés war, um dann nach rechts in den Mehringdamm einzubiegen und an der nächsten Kreuzung die U6 zu nehmen. Paul brauchte natürlich keine Telefonverbindung zu seiner Bank, er brauchte einfach eine Pause. Diese permanente Nähe zu einem Menschen, den er noch nicht einmal besonders mochte, überforderte ihn. Warum er Kuli nicht besonders mochte, wusste er eigentlich gar nicht so genau, wahrscheinlich weil er so unfassbar naiv, gutgläubig und harmlos oder, schlimmer, menschenfreundlich war. Kuli war einfach ein guter Kerl, und das ging ihm wahnsinnig auf die Nerven. Er wusste, wenn er Kuli um drei Uhr nachts anrufen würde und ihm mitteilen würde, er bräuchte mal jemanden zum Reden, dann würde Kuli sich, ohne mit der Wimper zu zucken, ungeduscht in seine Robe schmeißen und ihm zur Seite stehen, und das konnte ja wohl nicht wahr sein! Er hingegen würde im umgekehrten Falle bestenfalls die Telefonseelsorge oder Kulis Friseur empfehlen, sich über die späte Uhrzeit beschweren, auflegen, einmal kurz fluchen und weiterschlafen, so wie man das halt machte, wenn man nicht befreundet war und auch kein Interesse daran hatte, es zu sein.
Paul betrachtete ein überdimensioniertes Wahlplakat der Friedenspartei, das kurz vor der Haltestelle am Mehringdamm aufgestellt war. Henning Bürger war darauf zu sehen, im Anzug, aber doch ganz von der Straße kommend, lachend, positiv, gewinnend, kraftvoll, wie er einem etwas ungläubig strahlenden Bäckerburschen im weißen Kittel die Hand schüttelte, der ihm gerade offensichtlich ein Brot verkauft hatte. Zwei weitere Kunden standen um sie herum und freuten sich mit, der Optik nach ein Türke und ein Afrikaner. Im Zentrum des Fotos aber stand Henning Bürger und verband all diese Leute, einte sie. Eine Welt – eine Partei , stand unter dem Foto. Und: Henning Bürger – So ist Berlin . Was für ein Glück, dass zufällig eine Kamera diesen harmonischen Moment festgehalten hat, dachte Paul und konnte sich eines zynischen Lächelns nicht erwehren. Er drehte sich um und warf einen
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