Schlecht aufgelegt (German Edition)
Bruchbude!»
Kuli zog sie über die Straße. «Nix da. Was ist … äh … schöner als ein Abend im Hotel?»
Bettina hörte erst auf zu lachen, als Kuli sie schon längst in das kleine, staubig plüschige Foyer des Hotels Berliner Luft gezogen hatte, wo ein schläfriger alter Mann, der um diese Zeit längst ins Bett gehörte, hinter der Rezeption in einen winzigen Fernseher starrte. Eine Handvoll Monstertrucks lieferte sich ein heißes Rennen auf einer Sandpiste.
«Macht fünfunddreißig für ’ne Stunde oder achtzig die Nacht. Zahlung im Voraus», sagte er emotionslos, ohne seine Augen vom Fernseher zu nehmen.
«Ich nehme die Nacht», sagte Kuli und öffnete seine Brieftasche.
K uli lag neben der schlafenden und gänzlich unbekleideten Bettina und dachte an seine erste große Liebe zurück. Ihr Name war Simone Bütefür, sie war sehr schön und zwei Jahre jünger als er, was sich in späteren Jahren als ziemlich optimaler Altersunterschied erweisen sollte, nicht aber 1984, als Kuli vierzehn Jahre alt und voller wild wuchernder Hormone war und seine Auserwählte demnach gerade einmal zwölf Lenze zählte und schlicht und ergreifend zu jung war für eine erste große Liebe. Das hatte er damals nicht gewusst, denn er hatte generell wenig gewusst und schon gar nichts über Mädchen. Außer halt, dass Simone Bütefür seine erste große Liebe war.
Sie gingen in die gleiche Schule und nahmen Morgen für Morgen denselben Bus, in den sie zwei Stationen vor ihm einstieg, wie er dank sorgfältiger Recherche herausgefunden hatte. Es war Sommer, die Ruhrgebietsluft roch süßlich nach der stadtbekannten Schokoladenfabrik, aus den Radios dröhnten Duran Duran, Kajagoogoo und die Thompson Twins, und Kuli beschloss an einem Montag, dass er nun nicht mehr länger warten konnte. Er nahm sich also ein Herz und seinen ganzen Mut zusammen, fuhr nach der Schule zwei Stationen zu weit, stieg hinter Simone Bütefür aus, folgte ihr in gebührendem Sicherheitsabstand hundert Meter den Saarnberg hinunter, dann holte er sie ein und tippte ihr etwas zu fest auf die Schulter.
«Entschuldigung. Ich hab mich in dich verliebt», hatte er seiner Erinnerung nach gestammelt, ohne lästige Vorrede und mit hochrotem Kopf, und dann hatte er geschwiegen und gewartet und war sich der Absurdität der Situation unterschwellig bewusst gewesen, doch eben nur unterschwellig. «Aber ich kenne dich doch gar nicht», hatte sie korrekt geantwortet, und Kuli fiel auf, dass es das erste Mal gewesen war, dass er ihre Stimme gehört hatte. Simone Bütefür hatte eine sehr schöne, runde, volle Stimme und ein bezauberndes Lächeln, wie ihm auffiel, als sie ihn belustigt von oben bis unten musterte. Dann hatte sie sich umgedreht, dass das Kleidchen wehte, und war ohne ein weiteres Wort den restlichen Saarnberg hinuntergeeilt, um unten links in die Alte Straße einzubiegen, in der sie gleich hinter der Kurve in einem bescheidenen Einfamilienhaus aus der Vorkriegszeit wohnte. Als Kuli nach einer Schrecksekunde die Mundwinkel hob und den Saarnberg in die Gegenrichtung erklomm, gab er sich am Ende einer ziemlich konfusen Gedankenkette immerhin die Note Zwei für besonders mutiges Verhalten. Er grinste, pfiff das Gitarrenriff von Owner Of A Lonely Heart und hatte das sichere Gefühl sich zumindest nicht blamiert zu haben.
Dass er damit falschlag, stellte sich nur einen Tag später heraus, als ihm auf dem Schulhof plötzlich eine ganze Horde Mädchen aus Simone Bütefürs Klasse auflauerte, mit dem Finger auf ihn zeigte und ihn so offen wie gehässig auslachte. Simone Bütefür selbst hielt sich dabei im Hintergrund. Aber sie feixte verschämt mit ihren Freundinnen. Die alte Petze. Kuli jedenfalls fuhr fortan mit dem Fahrrad zur Schule, konsequent und bis zum Abitur.
S o war das gewesen damals in Mülheim an der Ruhr, 1984, dem aus musikhistorischer Sicht geschmacklosesten Jahr überhaupt, und daran musste er denken, als er nun neben der gänzlich unbekleideten Bettina auf einem versifften Hotelbett lag und an die Decke starrte. Es war ein weiter Weg gewesen von Simone Bütefür bis hierhin, dachte er und bemühte sich um ein kurzes und prägnantes Zwischenfazit seines Lebens. Zu diesem Zwecke holte er tief Luft, bis ganz weit hinunter ins Zwerchfell, dann stieß er das verbrauchte CO 2 von sich wie eine alte Dampflok. Alles in allem ganz okay, entschied er dann, ließ den Gedanken fallen und drehte sich zu Bettina, ganz leise und vorsichtig, damit der
Weitere Kostenlose Bücher