Schleier des Herzens (German Edition)
ein anderes Mädchen. »Als Musiker hätte er doch viel mehr Geld eingebracht.«
Ayesha zuckte die Schultern. »Irgendetwas bei der Kastration ist wohl schief gegangen, seine Stimme wurde tiefer ... und er sah ja auch nicht aus wie ein typischer Eunuch.«
»Also war er gar kein richtiger Kastrat!«, meinte Katiana aufgeregt. Sie hatte eine Vorliebe für romantische Geschichten. »Vielleicht also eine Liebesaffäre. Er war in ein Mädchen verliebt, das ihn nicht erhören wollte, und ...«
Ayesha verdrehte die Augen. »Auch das kommt nicht infrage. Bei Allah, habt ihr denn keine Augen im Kopf? Kalim war nett zu Mädchen, aber er liebte Knaben!«
Beatriz fragte sich, woran sie das wohl hätte erkennen sollen. Aber wenn es um geschlechtliche Dinge ging, waren die Mädchen im Verhältnis zu Khalidas Meisterschülerin wohl alle etwas unbedarft.
Was sie selbst anging, so grübelte sie über andere Zusammenhänge nach. Nächtliche Schreie im Harem, die klagende Harfe, Mustafa, der wie ein verängstigtes Reh durch die Gänge schlich – und nun eine Leiche im Schlossgarten. Prüfend beobachtete sie Blodwen, die mit totenblassem Gesicht ein wenig abseits saß und der Unterhaltung offensichtlich nur mit halbem Ohr lauschte. Das Mädchen schien eigenen, dunklen Gedanken nachzuhängen und erst zu erwachen, als Beatriz ein paar vorsichtige Andeutungen bezüglich der Klagelaute auf dem Weg zu den Bädern einwarf. Alarmiert setzte Blodwen sich auf, und Beatriz sah den gehetzten, verängstigten Ausdruck in ihren klaren, grünen Augen. Ihr Gehör hatte also nicht getrogen – Blodwen musste die Harfe geschlagen haben.
Die anderen Mädchen reagierten ebenfalls seltsam auf Beatriz’ Erzählung. Abgesehen von Katiana, die neu im Harem war und möglicherweise nie bei Nacht an Zarahs Räumen vorbeigegangen war, schienen alle peinlich berührt. Nächtliches Weinen und Schreien in diesem Teil des Harems war offensichtlich ein Thema, über das man nicht sprach. Einige der Mädchen blieben stumm, andere murmelten etwas von ›Einbildung‹ und ›Wind, der sich in den Haremsgittern fängt‹. Blodwen zerbiss sich die ohnehin schon geschwollenen und aufgeplatzten Lippen.
Als die Runde sich schließlich auflöste, fing Beatriz das Mädchen ab. Das war einfach, denn nur Blodwen wandte sich zu ihren Privaträumen, alle anderen wollten noch in die Bäder.
Beatriz stellte sie in einem leeren Korridor.
»Du wusstest von Kalim! Leugne es nicht, du hast seine Totenklage gespielt.«
Blodwen blickte sie an wie ein verängstigtes, in die Ecke gedrängtes Tier. Hektisch sah sie sich um.
»Du darfst niemandem davon erzählen. Du darfst niemandem sagen, was du gehört hast, das eben war schon zuviel. Beatriz, bitte ...«
Die kleine, elfenzarte Harfnerin blickte zitternd und flehend zu Beatriz auf. Ihr langes, flirrend lockiges rotes Haar fiel über ihr zartgrünes Kleid, das die Figur eines Kindes verbarg. Beatriz musste sich zur Härte zwingen.
»Das hängt davon ab, was du mir jetzt erzählst. Ich will es wissen, Blodwen! Was geht vor hinter dieser Tür?«
Blodwen schüttelte wild den Kopf. »Das kann ich nicht sagen! Eher ... eher folge ich Kalim ins Grab! Und du irrst dich auch. Bis heute morgen wusste ich nichts von seinem Tod. Ich ... ich betrauere ihn auch nicht, ich beneide ihn. Er ist ... er ist endlich frei.«
Das Mädchen schluchzte.
Beatriz wollte sie in den Arm nehmen, aber Blodwen schreckte vor jeder Berührung zurück, als wollte man sie verbrennen.
»Aber für wen hast du dann dieses Lied gespielt?«, versuchte Beatriz es noch einmal. »Um wen hat deine Harfe geweint in dieser Nacht? Und welche dunklen Götter wolltest du beschwören?«
Blodwen wischte sich die Tränen ab.
»Du hast ein scharfes Ohr, Kastilierin«, sagte sie leise. »Ein schärferes als die Götter, denn die blieben wieder stumm. Die Harfe, Beatriz, hat um mich geweint ...«
Aufgewühlt ging Beatriz zu ihren Räumen, wo Susanna gerade Mustafa zusammenstauchte.
»Meine Güte, Junge, was willst du denn noch alles fallenlassen? Und vielleicht beeilst du dich mal ein bisschen, die Sachen wieder aufzuheben! Du bist doch sonst nicht so ein Ungeschick!«
Beatriz sah den jungen Eunuchen mühsam die Scherben einer Kristallkaraffe zusammensuchen. Das Ding musste sündhaft teuer gewesen sein, und gewöhnlich waren die Diener gehalten, damit äußerst sorgsam umzugehen. Aber beim ersten Blick in Mustafas gequältes Gesicht vergaß sie das Glas. Der junge Eunuch
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