Schloss aus Glas
Kindern trug kaum jemand etwas zu der Unterhaltung bei.
»Und was habt ihr jetzt vor?«, fragte Brian schließlich. »Zieht ihr nach New York?«
»Sind wir schon«, sagte Mom.
»Für länger?«, fragte ich.
»Na klar«, sagte Dad.
»Wieso?«, fragte ich. Die Frage entfuhr mir mit einem scharfen Unterton.
Dad blickte verwirrt, als läge die Antwort auf der Hand. »Damit wir wieder eine Familie sind«, sagte er. Er hob die Flasche. »Auf die Familie«, sagte er.
Mom und Dad suchten sich ein Zimmer in einer Pension nicht weit von Loris Wohnung. Die Vermieterin, eine Frau mit stahlgrauem Haar, half Mom und Dad beim Einzug, aber als die beiden einige Monate später mit der Miete in Rückstand gerieten, räumte sie ihre Habseligkeiten wieder auf die Straße und brachte an dem Zimmer ein Vorhängeschloss an. Daraufhin zogen Mom und Dad in eine sechsstöckige Absteige in einer noch heruntergekommeneren Gegend. Dort hielten sie ein paar Monate durch, doch als Dad mit einer brennenden Zigarette einschlief und einen Brand verursachte, landeten sie wieder auf der Straße. Brian meinte, wir müssten Mom und Dad zwingen, für sich selbst zu sorgen, sonst hätten wir sie für immer am Hals, und er weigerte sich, sie bei sich wohnen zu lassen. Lori jedoch, die mit Maureen von der South Bronx in die Nähe von Brian gezogen war, nahm sie vorübergehend bei sich auf. Nur für ein oder zwei Wochen, versicherten Mom und Dad, höchstens einen Monat, bis sie ein bisschen was beiseite gelegt und eine neue Bleibe gefunden hatten.
Aus dem einen Monat bei Lori wurden zwei und dann drei und dann vier. Jedes Mal, wenn ich vorbeischaute, war die Wohnung mit noch mehr Krempel voll gestopft. Mom hängte Bilder an die Wände, verstaute ihre Fundsachen von der Straße im Wohnzimmer und stellte die farbigen Flaschen ins Fenster wegen der Buntglaswirkung. Als sich der ganze Kram bis zur Decke türmte und im Wohnzimmer beim besten Willen kein Platz mehr war, breitete sich Mom auch in der Küche aus.
Aber am meisten litt Lori unter Dad. Er suchte sich keine feste Arbeit, ergatterte aber immer mit irgendwelchen rätselhaften Methoden etwas Taschengeld, kam spätabends betrunken nach Hause und suchte Streit. Brian sah, dass Lori kurz vor dem Durchdrehen war, und bot Dad an, bei ihm zu wohnen. Er schloss den Schrank mit den Alkoholika ab, aber Dad war noch keine Woche da, als Brian eines Abends nach Hause kam und sah, dass Dad die Scharniere der Schranktür abgeschraubt und sämtliche Flaschen leer getrunken hatte.
Brian fuhr nicht aus der Haut. Er sagte zu Dad, ihm sei klar, dass es ein Fehler gewesen sei, Alkohol in der Wohnung zu lassen. Er sagte weiter, Dad dürfe bleiben, aber er müsse sich an gewisse Regeln halten, und die erste lautete, keinen Tropfen Alkohol mehr, solange er da war. »Das ist deine Wohnung, und du hast hier das Sagen«, erwiderte Dad. »Aber eher fall ich tot um, als dass ich mir von meinem Sohn was vorschreiben lasse.« Er und Mom hatten noch immer den weißen Van, mit dem sie aus West Virginia gekommen waren, und Dad schlief fortan im Auto.
Lori hatte Mom inzwischen eine Frist gesetzt, die Wohnung zu entrümpeln. Aber die Frist verstrich und auch eine zweite und dann eine dritte. Außerdem kam Dad ständig vorbei, um Mom zu besuchen, aber irgendwann brüllten sie sich dann so laut an, dass die Nachbarn an die Wände klopften und Dad sich auch noch mit ihnen anlegte.
»Ich halt das nicht mehr aus«, sagte Lori eines Tages zu mir.
»Vielleicht solltest du Mom einfach vor die Tür setzen«, sagte ich, als sie schon über ein Jahr bei Lori wohnte.
»Aber sie ist meine Mutter.«
»Egal. Sie treibt dich in den Wahnsinn.«
Lori stimmte schließlich zu. Es kostete sie eine unendliche Überwindung, Mom zu sagen, dass sie ausziehen müsse, und sie bot ihr an, ihr so gut sie konnte zu helfen, etwas Neues zu finden, aber Mom beteuerte, sie käme schon allein klar.
»Lori hat genau das Richtige getan«, sagte sie zu mir. »Manchmal ist eine kleine Krise erforderlich, um das Adrenalin wieder in Schwung zu bringen, damit man seine Möglichkeiten erkennt.«
Mom und Tinkle zogen zu Dad in den Van. Sie wohnten ein paar Monate darin, doch eines Tages stellten sie das Auto im Parkverbot ab, und es wurde abgeschleppt. Da der Van nicht angemeldet war, bekamen sie ihn nicht zurück. In der Nacht schliefen sie auf einer Parkbank. Sie waren obdachlos.
Mom und Dad riefen regelmässig aus irgendeiner Telefonzelle an, um sich nach ihren
Weitere Kostenlose Bücher