Schloss aus Glas
rührte sich nicht, sah Dad weiter an.
Langsam hob Dad die rechte Hand und legte sie an den Käfig. Der Gepard betrachtete Dads Hand, rührte sich aber nicht. Dad schob die Hand behutsam durch die Gitterstäbe und legte sie auf den Hals des Geparden. Der drückte seinen Kopf seitlich gegen Dads Hand, als wollte er gestreichelt werden. Dad kraulte den Geparden so kräftig und energisch, wie man einen großen Hund streicheln würde.
»Alles unter Kontrolle«, sagte Dad und winkte uns zu sich.
Wir stiegen über den Zaun und knieten uns rechts und links von Dad hin, während er weiter den Geparden kraulte. Inzwischen waren einige Leute dazugekommen. Ein Mann rief, wir sollten zurück hinter den Zaun kommen. Wir achteten nicht auf ihn. Ich kniete ganz dicht vor dem Geparden. Mein Herz raste, aber nicht vor Angst, sondern vor Aufregung. Ich konnte den warmen Atem des Geparden auf meinem Gesicht spüren. Er sah mich direkt an. Seine bernsteinfarbenen Augen blickten ruhig, aber traurig, als wüsste er, dass er die Weiten Afrikas nie wiedersehen würde.
»Darf ich ihn streicheln, bitte?«, fragte ich Dad.
Dad nahm meine Hand und führte sie langsam seitlich an den Gepardenhals. Er fühlte sich weich an, aber auch borstig. Der Gepard wandte den Kopf und drückte seine feuchte Nase gegen meine Hand. Und dann kam seine große rosa Zunge aus seinem Maul, und er leckte mir die Hand. Ich hielt die Luft an. Dad öffnete meine Hand und hielt meine Finger gestreckt. Der Gepard leckte über meine Handinnenfläche, und seine Zunge war warm und rau, wie Schmirgelpapier, das in heißes Wasser getaucht worden war. Es kitzelte.
»Ich glaube, er mag mich«, sagte ich.
»Tut er auch«, sagte Dad. »Und er mag das Salz und die Butter von dem Popcorn in deiner Hand.«
Inzwischen hatte sich eine kleine Menschenmenge vor dem Käfig versammelt, und eine besonders verängstigte Frau packte mein T-Shirt und versuchte mich zurück über den Zaun zu ziehen. »Keine Bange«, sagte ich zu ihr. »Mein Dad macht so was andauernd.«
»Der gehört verhaftet!«, rief sie.
»So, Kinder«, sagte Dad. »Die Bürger revoltieren. Wir sollten türmen.«
Wir kletterten über den Zaun. Als ich mich umsah, folgte uns der Gepard am Käfiggitter entlang. Ehe wir uns durch die Menschenmenge hindurchgeschoben hatten, kam ein massiger Mann in marineblauer Uniform angerannt. Beim Laufen hielt er seine Pistole und den Gummiknüppel an seinem Gürtel fest, sodass es aussah, als hätte er die Hände in die Hüften gestemmt, und er schrie irgendwas von Vorschriften und dass schon manche Idioten ums Leben gekommen seien, weil sie in Käfige geklettert waren, und dass wir alle sofort das Zoogelände verlassen müssten. Er hielt Dad an der Schulter fest, aber Dad stieß ihn weg und ging in Kampfhaltung. Dann packten ein paar von den Umstehenden Dads Arme, und Mom bat Dad, doch bitte zu tun, was der Wachmann verlangte.
Dad nickte und hob kapitulierend die Hände. Dann führte er uns durch die Menge zum Ausgang, leise lachend und
kopfschüttelnd, um uns Kindern deutlich zu machen, dass es Zeitvergeudung wäre, sich mit diesen Dummköpfen anzulegen. Ich hörte die Leute um uns herum über den irren Trunkenbold und seine verdreckten kleinen Bälger tuscheln, aber wen interessierte schon, was sie dachten? Von denen hatte sich noch keiner von einem Geparden die Hand lecken lassen.
Etwa um diese Zeit verlor Dad seine Arbeit. Er sagte, das wäre kein Grund zur Beunruhigung, weil Phoenix so groß sei und so schnell wachse, dass er problemlos einen neuen Job finden könnte, irgendwo, wo man noch keine Lügen über ihn verbreitete. Dann wurde er wieder gefeuert und danach zum dritten Mal, und schließlich wurde er aus der Elektrikergewerkschaft ausgeschlossen und verdingte sich wieder als Hilfsarbeiter oder Tagelöhner. Das ganze Geld, das Mom von Grandma Smith geerbt hatte, war aufgebraucht, und wir mussten uns erneut irgendwie durchschlagen.
Diesmal brauchte ich nicht hungern. Das warme Mittagessen in der Schule kostete fünfundzwanzig Cent, und die konnten wir uns meistens noch leisten. Wenn auch das nicht drin war, sagte ich zu Mrs. Ellis, meiner Lehrerin in der vierten Klasse, ich hätte meine fünfundzwanzig Cent vergessen, und sie erwiderte dann, in ihren Unterlagen stünde, dass schon jemand für mich bezahlt habe. Diese Zufälle kamen mir zwar ziemlich merkwürdig vor, aber ich wollte mein Glück nicht herausfordern, indem ich zu hartnäckig bei Mrs. Ellis
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