Schloss aus Glas
nachfragte, wer denn dieser Jemand sei. Ich aß das warme Mittagessen. Manchmal war es das Einzige, was ich den ganzen Tag in den Magen bekam, aber mit einer Mahlzeit am Tag kam ich zurecht.
Eines Nachmittags, als Brian und ich von der Schule nach Hause kamen und einen leeren Kühlschrank vorfanden, gingen wir in die enge Gasse hinter dem Haus und suchten nach Pfandflaschen. Am Ende der Gasse war die Lieferanteneinfahrt eines Lagerhauses. Auf dem Parkplatz stand ein großer grüner Müllcontainer. Als keiner in der Nähe war, schoben
Brian und ich den Deckel auf und kletterten in den Container, um nach Flaschen zu suchen. Ich hatte schon befürchtet, dass wir in ekligem Müll herumwühlen müssten, doch stattdessen entdeckten wir einen erstaunlichen Schatz: Schachteln voller Pralinen. Manche waren weiß angelaufen, als wären sie eingetrocknet, und andere waren mit einer rätselhaften grüne Paste überzogen, aber die meisten waren essbar. Wir schlugen uns den Bauch mit Pralinen voll, und von da an gingen wir immer, wenn Mom zu beschäftigt war, um uns was zu kochen, oder wenn wir nichts mehr zu essen im Haus hatten, zu dem Container und schauten nach, ob wieder frische Pralinen dort auf uns warteten. Von Zeit zu Zeit hatten wir Glück.
Aus irgendeinem Grund wohnten auf der North Third Street keine Kinder in Maureens Alter. Sie war noch zu klein, um mit Brian und mir herumzustromern, deshalb vertrieb sie sich meistens die Zeit damit, auf ihrem roten Dreirad herumzufahren, das Dad ihr gekauft hatte, kurz nachdem er uns die Fahrräder geschenkt hatte, und mit irgendwelchen imaginären Freunden zu spielen. Sie hatte allen Namen gegeben und sprach stundenlang mit ihnen. Sie lachten zusammen, führten ausführliche Gespräche und stritten sich sogar. Einmal kam sie in Tränen aufgelöst nach Hause, und als ich sie fragte, warum sie weinte, sagte sie, sie hätte Streit mit Suzie Q. gehabt, einer von ihren Fantasiefreundinnen.
Maureen war fünf Jahre jünger als Brian, und weil sie keine Verbündeten gleichen Alters in unserer Familie hatte, glaubte Mom ihr etwas Gutes tun zu müssen. Sie entschloss sich, Maureen in die Vorschule zu schicken, aber sie wollte nicht, dass ihre jüngste Tochter in Flohmarktklamotten herumlief wie wir. Daher eröffnete sie uns, dass wir Ladendiebstahl begehen müssten.
»Ist das denn keine Sünde?«, fragte ich.
»Nicht direkt«, sagte Mom. »Gott hat nichts dagegen, wenn wir die Regeln ein bisschen großzügig auslegen, solange ein
guter Grund vorliegt. Praktisch wie bei Mord aus Notwehr. Und das hier ist sozusagen Klauen aus Notwehr.«
Moms Plan war, dass sie und Maureen mit einem ganzen Arm voll neuer Sachen für Maureen in die Umkleidekabine eines Ladens gehen würden. Wenn sie dann wieder rauskämen, würde Mom der Verkäuferin erklären, dass ihr nichts davon gefiel. Im selben Augenblick sollten Lori, Brian und ich ordentlich Radau machen, um die Verkäuferin abzulenken, und Mom würde rasch ein Kleid unter dem Regenmantel verstecken, den sie über dem Arm trug.
Auf diese Weise ergatterten wir drei, vier hübsche Kleider für Maureen. Doch bei einem unserer Ausflüge, als Brian und ich gerade so taten, als würden wir uns prügeln, und Mom ein Kleid unter ihren Mantel schieben wollte, drehte sich die Verkäuferin zu ihr um und fragte, ob sie das Kleid kaufen wolle, das sie da in der Hand hatte. Mom blieb nichts anderes übrig, als es zu bezahlen. »Vierzehn Dollar für ein Kinderkleidchen!«, sagte sie, als wir das Geschäft verließen. »Das ist doch der reinste Nepp!«
Auch Dad dachte sich eine raffinierte Methode aus, um zusätzlich an Geld zu kommen. Wenn man nämlich am Drivein-Schalter der Bank Geld abhob, dauerte es, so hatte er festgestellt, ein paar Minuten, bis der Computer die Transaktion registriert hatte. Also eröffnete Dad ein Konto und hob das ganze Geld eine Woche später in bar beim Kassierer in der Bank ab, während Mom sich gleichzeitig denselben Betrag am Drive-in-Schalter auszahlen ließ. Lori meinte, das höre sich regelrecht kriminell an, aber Dad sagte, er trickse doch nur die stinkreichen Bankbesitzer aus, die den kleinen Mann übers Ohr hauten, indem sie ihm Wucherzinsen abknöpften.
»Kuckt ganz unschuldig«, befahl Mom uns Kindern, als wir Dad das erste Mal vor der Bank absetzten.
»Müssen wir in die Besserungsanstalt, wenn wir erwischt werden?«, fragte ich.
Mom versicherte mir, dass alles vollkommen legal sei. »Viele Menschen überziehen ihr
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