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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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Mom lag ständig mit Migräne im Bett. Die Folge war, dass die Grady-Jungs völlig verwilderten. Sie waren auch nur schwer auseinander zu halten, da sie alle Blue Jeans und zerrissene T-Shirts trugen und kahl geschorene Köpfe hatten, damit sie sich keine Läuse einfingen. Einmal fand der Älteste die alte Repetierbüchse von seinem Dad unter dem Bett seiner Mom und veranstaltete Schießübungen auf Brian und mich, während wir wie Jagdwild durch den Wald um unser Leben rannten.
    Und dann waren da noch die Halls. Alle sechs Hall-Kinder waren geistig zurückgeblieben und wohnten, obwohl inzwischen schon mittleren Alters, bei ihren Eltern. Da ich immer nett und freundlich zu dem Ältesten von ihnen war, dem zweiundvierzigjährigen Kenny Hall, verknallte er sich heftig in mich. Die anderen Kinder in der Nachbarschaft machten sich über Kenny lustig und sagten, wenn er ihnen einen Dollar gäbe oder sich bis auf die Unterhose auszöge und ihnen seinen Schniedel zeigen würde, dann würden sie eine Verabredung mit mir arrangieren. Manchmal, wenn er wieder mal reingelegt worden war, tauchte er samstagabends vor unserem Haus auf und weinte und schrie, ich wäre nicht zu der Verabredung erschienen, und dann musste ich zu ihm gehen und ihm erklären, dass die anderen sich einen Scherz mit ihm erlaubt hatten und dass ich, obwohl er viele großartige Eigenschaften hätte, aus Prinzip nicht mit älteren Männern ausgehen würde.
    Doch am schwersten von allen Familien auf der Little Hobart Street hatten es wohl die Pastors, und zwar, weil die Mutter, Ginnie Sue Pastor, eine stadtbekannte Hure war. Ginnie Sue Pastor war dreiunddreißig Jahre alt und hatte acht Töchter und einen Sohn. Ihre Namen endeten alle auf »y«. Ihr Mann, Clarence Pastor, hatte eine Staublunge und saß den ganzen Tag auf der Veranda vor seinem baufälligen Haus, ohne auch nur mal zu lächeln oder zu winken, wenn jemand vorbeikam. Er saß einfach da wie erstarrt. Die Leute in der Stadt erzählten sich, er wäre seit Jahren impotent und keins der Pastor-Kinder wäre von ihm.
    Ginnie Sue Pastor ließ sich nur selten in der Öffentlichkeit blicken. Am Anfang stellte ich mir vor, dass sie tagsüber in einem Spitzennegligee herumlief und Zigaretten rauchte, während sie auf Herrenbesuch wartete. In Battie Mountain waren die Frauen, die sich auf der Veranda vor dem Green Lantern rekelten - ich war längst dahinter gekommen, womit sie ihr Geld verdienten -, mit weißem Lippenstift und schwarzer Wimperntusche geschminkt gewesen und hatten ihre Blusen so weit aufgeknöpft, dass die Büstenhalter zu sehen waren. Aber Ginnie Sue Pastor sah gar nicht aus wie eine Hure. Sie war eine dralle Frau mit gelb gefärbten Haaren, und ab und zu sah man sie im Vorgarten Holz hacken oder einen Eimer Kohlen holen. Sie trug meistens die gleichen Schürzen oder Kittel wie die anderen Frauen auf der Little Hobart Street. Sie sah aus wie eine ganz normale Mom.
    Ich fragte mich auch, wie sie bei den vielen Kindern im Haus ihrem Gewerbe nachgehen konnte. Doch eines Abends, als ich auf dem Heimweg war, sah ich, wie vor dem Haus der Pastors ein Auto hielt und die Scheinwerfer zweimal aufblinkten. Gleich darauf kam Ginnie Sue zur Tür heraus und stieg in den Wagen, der sofort abfuhr.
    Kathy war Ginnie Sue Pastors älteste Tochter. Alle anderen Kinder behandelten sie wie eine Aussätzige, riefen, ihre Mutter wäre eine Nutte, und nannten sie »Läusegöre«. Sie hatte tatsächlich Kopfläuse, und zwar im fortgeschrittenen Stadium. Sie wollte sich gern mit mir anfreunden, und eines Nachmittags auf dem Weg von der Schule nach Hause erzählte ich ihr, dass wir eine Zeit lang in Kalifornien gelebt hatten. Sie blühte förmlich auf und sagte, es wäre schon immer ein Traum ihrer Momma gewesen, nach Kalifornien zu gehen. Sie fragte, ob ich nicht Lust hätte, mit zu ihr zu kommen und ihrer Momma von dem Leben in Kalifornien zu erzählen.
    Natürlich hatte ich Lust dazu. Ich hatte es nie geschafft, mal einen Blick ins Green Lantern zu werfen, aber jetzt würde ich mir eine echte Hure ganz aus der Nähe ankucken können. Ich wollte so vieles wissen: War Prostitution leicht verdientes Geld? Machte es auch mal Spaß, oder war es nur ekelhaft? Wussten Kathy und ihre Geschwister und ihr Vater, dass Ginnie Sue Pastor eine Hure war? Wie fanden sie das? Ich hatte nicht vor, diese Fragen direkt zu stellen, aber ich dachte, ich könnte sie mir bestimmt so in etwa allein beantworten, wenn ich das Haus der

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