Schluessel zur Hoelle
Gott nichts mehr als Leid und Sorgen zu vergeben hatte, als Albanien an die Reihe kam, scheint zu stimmen.«
Chavasse nickte. »Wenn man sich die Geschichte Albaniens ansieht, könnte man es meinen.«
»Eine Kette fremder Eroberer, die alle das Land unterdrückten: Griechen, Römer, Goten, Byzantiner, Serben, Bulgaren, Sizilianer, Venezianer, Normannen und Türken.«
»Und immer kämpfte das Volk um Freiheit.« Chavasse sah sie nachdenklich an. »Wie ironisch das Leben doch sein kann. Nach jahrhundertelangem Kampf wird Albanien endlich unabhängig und gerät zugleich unter eine Tyrannei, die schlimmer ist als alle vorhergehenden.«
»Ist es wirklich so schlimm, wie man hört?«
Er nickte. »Die Sigurmi sind überall. Sogar die Urlaubsorganisation der italienischen Gewerkschaften beklagt sich darüber, daß ihre Mitglieder bei ihren Ferienaufenthalten ständig von Sigurmi-Agenten beschattet werden. Grob geschätzt, haben Hodscha und seine Leute seit ihrer Machtübernahme über hunderttausend Menschen liquidiert oder eingesperrt. Wie die verschiedenen religiösen Gruppen behandelt wurden, wissen Sie ja selbst. Stalin wäre sicher stolz auf Hodscha gewesen. Er ist ein gelehriger Schüler.«
Er merkte, wie nahe ihr dieses Thema ging, und ihm fiel ein, was ihre Angehörigen in Albanien durchmachten. Er hätte sich für seine Gedankenlosigkeit am liebsten geohrfeigt.
Rasch holte er seine Zigaretten hervor und bot ihr eine an. Sie rauchte eine Weile schweigend, dann sagte sie langsam: »Vergangenes Jahr sind zwei Leute, die für S2 in Rom arbeiteten, verschwunden. Der eine in Albanien, der andere in der Türkei.«
Chavasse nickte. »Matt Sorley und Jules Dumont. Beide gute Männer.«
»Wie ertragen Sie bloß dieses Leben? Sie müssen doch ständig damit rechnen, daß Ihnen auch so etwas passiert. Es hätte nicht viel gefehlt, und Sie wären letztes Mal nicht mehr aus Albanien herausgekommen.«
»Vielleicht bin ich immer noch nicht richtig erwachsen«, sagte er scherzhaft. »Ein ewiger Schuljunge, der Räuber und Gendarm spielt.«
»Wie sind Sie eigentlich zu diesem Job gekommen?«
»Durch Zufall. Ich unterrichtete Sprachen an einer englischen Universität, und ein Freund wollte einen Verwandten aus der Tschechoslowakei herausholen. Ich hab ihm dabei geholfen. Der Chef hat von der Sache erfahren und mich engagiert. Er brauchte damals Leute, die osteuropäische Sprachen beherrschen.«
»Eine ungewöhnliche Fertigkeit.«
»Manche Menschen können in Sekundenschnelle im Kopf Kubikwurzeln ziehen, andere vergessen kein Wort, das sie gelesen haben. Bei mir ist es so ähnlich mit Sprachen. Ich sauge sie auf wie ein Schwamm – ohne jede Mühe.«
Sie schaltete auf Albanisch um. »Kommen Sie nicht manchmal durcheinander?«
»Bis jetzt ist mir das noch nicht passiert«, antwortete er fehlerlos in der gleichen Sprache. »Gott sei Dank denn Schnitzer kann ich mir nicht leisten. Aber auch meine Begabung hat Grenzen – ich kann immer noch keine chinesische Zeitung lesen. Allerdings bin ich bisher auch nur zwei Europäern begegnet, die das konnten.«
»Mit diesen Kenntnissen und Ihrer akademischen Ausbildung könnten Sie doch praktisch an jeder englischen oder amerikanischen Universität einen Lehrstuhl bekommen«, sagte sie. »Würde Sie das nicht reizen?«
»Nicht im mindesten.«
»Heißt das etwa, Sie lieben Ihren Job?«
»Sicher. Wenn ich in Albanien zur Welt gekommen wäre, wäre ich vielleicht ein sehr tüchtiger Sigurmi-Agent geworden. Wer weiß?«
Sie schien schockiert. »Das ist doch nicht Ihr Ernst?«
»Warum nicht? Alle Männer und Frauen, die diesen Beruf ausüben, verbindet eine Art Verwandtschaft. Warum soll ich nicht die Fähigkeiten meiner Gegner anerkennen und schätzen? Daran ist doch nichts Schlechtes.«
Einen Moment herrschte gespanntes Schweigen, und er spürte irgendwie, daß sie von ihm enttäuscht war. Sie nahm das Tablett. »Ich trag das Geschirr lieber hinunter. Wir müssen schon nahe an der Küste sein.«
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, öffnete Chavasse das Fenster und atmete tief die frische Morgenluft ein. Er war deprimiert. Wie so viele dieser Leute, die in den Büros saßen, die die Schreibarbeit machten, die Funkgeräte bedienten, die Meldungen dechiffrierten, hatte sie keine Ahnung, wie es im Außendienst aussah. Wie schwer und gefährlich und entsagungsvoll dieser Job war.
Warum, zum Teufel, habe
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