Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
ich gebe dir unseren Aktionsplan, dann kannst du ...
»Tut mir Leid, ich muss jetzt mal!«, schleudere ich Barbara schnell entgegen und renne so unauffällig wie möglich aus dem Laden, dem Objekt meiner Begierde hinterher auf den Parkplatz.
Keine Spur mehr von ihm.
Ob er entführt wurde? Einfach in einen Wagen gezerrt und mitgenommen? Möglich wäre das! Ich male mir aus, wie ich Herrn Wesseltöft aus den Händen der skrupellosen Entführer befreie. Er sitzt, nur mit einer Badehose bekleidet, in seinem tristen Gefängnis und fällt mir vor Freude und Dankbarkeit um den Hals. Toll!
Aber wahrscheinlich ist er einfach weggefahren. Zur Arbeit. In seinen Massivhauspark. Ich sollte da dringend mal wieder vorbeischauen.
Auf dem Weg nach Hause höre ich Musik vom Feuerwehrhaus. Für den Ball ist es noch viel zu früh, der fängt zwar auch schon um sieben an, aber jetzt ist es höchstens drei Uhr. Komisch ... Aber dann fällt mir ein, was Dodo letzte Woche mal erwähnt hat: Vor dem Feuerwehrball gibt es jetzt nachmittags schon ein Kinder- und Dorffest. Denn wenn man schon mal feiert, kann man gar nicht früh genug damit anfangen. Ich ändere meine Route, gehe dem Sound nach, der unterwegs im Rasenmähermotordröhnen untergeht. Grönes haben wieder den Rasen zu stark gedüngt und kommen jetzt mit dem Mähen kaum nach.
Als Herr Gröne mit seinem Aufsitzrasenmäher um die Ecke biegt und hinter dem Haus verschwindet, dringt die Musik wieder durch. Jemand hat inzwischen lauter gedreht. »I want to Break free!«, schallt es mir entgegen. Freddy Mercurys Ruf nach einem anderen Leben, der mich mitten ins Herz trifft. Komisch, ich bin doch sonst nicht so sentimental. Aber in diesem Moment denke ich: Ja, das ist es! Wer hätte gedacht, dass das jemand so in Worte fassen könnte? Der Song ist genial! Ich muss ausbrechen. Ich muss hier raus. Mich befreien. Wovon, das weiß ich nicht, denn zurzeit befreit sich ja eher alles von mir. Aber einen kurzen Moment lang fühle ich eine Aufbruchsstimmung. Dieses Gefühl hatte ich schon mal, ich glaube, da war ich sechzehn. Es hat ungefähr drei Tage lang angehalten, und ich habe damals niemandem davon erzählt. Aber jetzt: Rebellion! Revolte! Ich werde ein Punk! Die deutsche Antwort auf Che Guevara! Zum Hippie, zu den Rolling Stones! Allein an der Aufzählung merke ich bereits, dass nicht wirklich das Zeug zum Aufbruch in mir steckt, wenn ich noch nicht mal annähernd passende Vorbilder benennen kann, doch mein Herz brennt wie mit Grillanzünder befeuert.
»Hilfe! Hilfe!« Ein schriller Schrei übertönt Freddy Mercury.
Auf dem Platz vor dem Feuerwehrhaus steht eine Wand, daran hängt in schwindelerregender Höhe ein kleiner bebrillter Junge, Marvin, Dodos Sohn. Drumherum lauter Schaulustige – und keiner kommt dem Kind zu Hilfe. Okay, der Kleine ist angeseilt, die Wand ist eine Kletterwand, und er ist wahrscheinlich auf eigenen Wunsch und aus eigener Kraft dort hochgestiegen. Aber jetzt scheint es ihm nicht mehr zu gefallen. »Lass mich runter!« schreit er, doch der Feuerwehrmann am anderen Ende des Seils gibt sich unbeeindruckt.
»Du bist noch nicht ganz oben. Erst musst du ganz hochklettern und die Glocke läuten. Dann lasse ich dich runter.«
Ich erkenne den schneidenden Tonfall und renne sofort los. Das ist Ralf-Georg! Er ist ein Jahr älter als ich, und als ich noch zur Grundschule ging, hat er mich oft auf dem Weg dorthin abgefangen und mir mein Taschengeld abgenommen. Er hat mir gedroht, mein Zwergkaninchen zu ertränken, falls ich jemandem davon erzählen würde. Ich hatte höllische Angst, dass er seine Drohung wahr macht, deshalb habe ich mich niemandem anvertraut. Bis heute nicht, dabei habe ich gar kein Zwergkaninchen mehr, es ist schon vor Jahren eines natürlichen Todes gestorben.
»Lass Marvin runter. Sofort! « Ich baue mich vor Ralf-Georg auf und fixiere ihn streng. Noch nie habe ich ihm widersprochen, ich habe noch nicht mal daran gedacht, es zu tun, bin ihm lieber aus dem Weg gegangen, wo ich nur konnte. Aber heute bin ich Superwoman. I want to Break free! Das sollen keine leeren Worte sein. Ich fange gleich damit an. Ich bereite mich seelisch darauf vor, Ralf-Georg fest gegen sein Schienbein zu treten. Oder sollte ich eine empfindlichere Region wählen? Mist, hätte ich doch die Stilettos anbehalten, damit hätte ich ihm richtig Schmerzen zufügen können oder gar bleibende Schäden! Allerdings darf ich auch nicht riskieren, dass er das Seil loslässt und Marvin
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