Schlüsselspiele für drei Paare
Mensch, Fallers, das Leben ist so schön! Und ein Kind ist etwas Herrliches.«
Das war am Abend gewesen. Am nächsten Tag trafen sich Ernst und Julia in der Mittagspause im bereiften Englischen Garten, in der Nähe des Sees. Sie kamen langsam aufeinander zu, und als sie voreinander standen und sich ansahen, brauchten sie keine Worte mehr zu sagen. Sie fielen einander in die Arme und küßten sich, und Fallers tupfte ihr die Tränen von den Wangen und streichelte ihr eingefallenes Gesicht.
»Was nun?« fragte Julia. »Was sollen wir nun tun, Ernst? Ich will dieses Kind nicht haben.«
»Pater Hall meint …«, sagte Fallers, aber Julia winkte mit beiden Händen ab.
»Mein Vetter sieht es mit den Augen des Priesters. Aber ich muß das Kind austragen, ich muß es gebären, ich muß es großziehen – das Kind eines Mannes, den ich hasse, der ein Satan ist! O Gott im Himmel, das Kind kann nichts dafür, aber ich könnte es nie lieben, wie eine Mutter ihr Kind lieben muß!« Sie umklammerte Fallers und drückte sich an ihn. »Ich kann es nicht zur Welt bringen!«
»Ich will mich umhören.« Ernst Fallers sah auf den zugefrorenen See und die bereiften Bäume. Er mußte an die Worte Pater Halls denken und bemühte sich, sie zu vergessen. »Wenn du willst, Julia …«
»Ich will alles, alles, wenn nur das Kind nicht kommt! Wenn ich an Paps denke … ich tue mir etwas an, Ernst! Ich sterbe vor Angst!«
»Es wird alles gut werden … gut werden …«, sagte Fallers tonlos. »Du darfst keine Angst haben, Julia. Wir werden schon einen Weg finden …«
Zwei Tage später hatte Ernst Fallers den Weg gefunden. Früh am Morgen holte er Julia von der Straßenbahn ab, und statt in ihre Büros gingen sie langsam durch die Straßen, eine ganze Stunde lang, bis hinaus nach Schwabing. Sie hatten sich eng umschlungen, und es war auch etwas ungeheuer Verbindendes, was sie heute zusammenführte.
»Wer ist es?« fragte Julia, als sie über die Leopoldstraße gingen.
»Eine alte Frau.«
»Was hat sie gesagt?«
»Nicht viel.« Fallers sah starr zum Siegestor. »Fünfhundert Märker krieg i, hat sie gesagt. Im voraus.«
»Du hast sie bezahlt?«
»Ja.«
»Und sie ist sicher?«
»Sie hat es schon vierundzwanzigmal gemacht, sagt sie.«
»Woher hast du die Adresse?«
»Von einem Freund. Einem Jurastudenten.«
»Ausgerechnet.«
»Er hat auch schon eine Freundin von sich hingebracht. Es ist alles glattgegangen.«
»Es wird weh tun, nicht wahr?«
»Ein bißchen. Sie gibt einen Ätherrausch dabei.«
»Ich habe Angst, Ernst.«
»Ich bin ja bei dir.«
»Auch wenn … wenn sie es macht?«
»Auch. Ich gehe nicht hinaus. Ich halte deine Hand fest, Julia.«
»Das ist schön, Ernst. Nun habe ich fast keine Angst mehr.«
Ein hohes, graues Haus. Verwitterte Fassade, eine offene Tür ohne Drücker. Im Flur der Geruch nach Kohl und Kinderwindeln. Julia blieb stehen. In ihren Augen flackerte es.
»Hier?«
»Ja. Zweite Etage. Oben ist es sauberer als hier im Treppenhaus. Du wirst sehen, sie ist eine nette, alte Frau.«
Sie klingelten. ›Adele Fernholtz‹ stand unter der Klingel. Und wie als Berufsbezeichnung: ›Witwe‹.
Eine alte, weißhaarige, gütig dreinschauende Frau öffnete. Sie erkannte Fallers sofort wieder, nickte Julia zu und ergriff ihre kalten Hände.
»Guten Tag, mein kleines Fräulein«, sagte die alte Frau. Sie zog Julia in die Wohnung. Eine saubere, helle Diele. Links die gekachelte Küche, wie ein Operationssaal. Der Küchentisch war mit einem weißen Wachstuch bedeckt, zwei Emailleeimer standen darunter. Julia hob schaudernd die Schultern.
»Sie brauchen keine Angst zu haben, kleines Fräulein«, sagte die alte Frau.
»Ich habe aber Angst«, flüsterte Julia.
»Es geht schneller, als es entstanden ist.« Die alte Frau lachte mit den blauen Augen. »Und dann habt ihr jungen Menschen Ruhe.« Sie sah Fallers an. Auch er war bleich, und der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn. »Sie gehen so lange ins Wohnzimmer, junger Mann.«
»Nein, ich bleibe bei Julia!« sagte Fallers laut.
»Auch gut! Dann waschen Sie sich die Hände in der Küche im heißen Wasser. Bis zum Oberarm. Ich sehe sehr auf Sterilität. Bei mir ist noch kein Mädchen an einer Sepsis eingegangen. Überhaupt noch keine!« Die alte Frau nickte Julia ermutigend zu und streichelte ihr über das bleiche Gesicht. »Nur Mut, mein Kleines. Zieh dich aus. Ganz aus! Und leg dich auf den Tisch.«
Und dann lag Julia auf dem Tisch, zitternd vor Angst, und
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