Schluss mit dem ewigen Aufschieben
spannungsgeladenen Zustand, im Wissen, gegebenenfalls explosiv
etwas aus sich herausstoßen zu können. Mutige Kinder genießen dabei auch die Spannung zwischen sich und ihren erwartungsvollen
Eltern. Ängstlichere Kinder aber fürchten |149| sich vor Strafe, schämen sich ihrer Empfindungen und fürchten deren Offenbarwerden. Für sie ist der Konflikt zwischen der
»saube ren « Seite (der Konformität) und der »unsauberen« (der analen Lust) belastend. Das Aufschieben stellt dann einen geeigneten Kompromiss
dar: Sie bemühen sich ja, sichtbar und brav, aber es kommt nichts dabei heraus. Diese Einstellung hilft Kind und Eltern dabei,
die volle Wahrnehmung des Kampfes, der hier vor sich geht, zu vermeiden. Ihn anders zu führen, würde alle Beteiligten mit
Schuld belasten: Das Kind mit der Schuld, aus den gesetzten Normen auszubrechen, die Erwachsenen mit der Schuld, den Willen
des Kindes zu brechen. Das Aufschieben können Sie erlernen, weil es bittere Erkenntnisse erspart.
Beate hatte im Studium Probleme mit ihrer Zwischenprüfung. Sie traute sich lange Zeit nicht, sich anzumelden, was sie auf
ihre Prüfungsangst zurückführte. Dabei wurde sie das Gefühl nicht los, dass die eigentlich nicht so groß war, um immer neues
Aufschieben zu erklären. Erst viel später wurde ihr klar, dass sie damals kurz davor stand, mit der Betriebswirtschaft aufzuhören
und zur Germanistik zu wechseln. Ihr Hinauszögern kaschierte den Konflikt zwischen der inneren Forderung, etwas Begonnenes
zu Ende zu führen, und dem Verlust des Interesses am Studienfach.
Wie die anale Phase erlebt wurde, bestimmt über das Ausmaß Ihrer zwanghaften Anteile. Die erwerben Sie durch Verinnerlichung
der Erlebens- und Verhaltensmuster jener Zeit. So können Sie die strengen Anforderungen Ihrer Mutter nach pünktlichem Hergeben
auf dem Töpfchen ebenso übernehmen wie ihre Strafhandlungen. Sie legen sich dann ein strenges, strafendes Über-Ich zu, in
dem Sie Mutters Forderungen aufbewahren. Die damalige Spannung zwischen Ihnen und ihr verwandelt sich nun in ein spannungsgeladenes
Verhältnis zwischen Ihrem Über-Ich und Ihrem Ich. Sie stehen dann im Konflikt zwischen Gehorsam/Unterwürfigkeit und Auflehnung/Rebellion.
Dabei steht der Feind im eigenen Haus, und Sie wehren sich unbewusst gegen Forderungen, die Sie verbal bejahen. Sie denken
vielleicht, »man muss etwas leisten, sonst ist man ein Versager«, aber Sie richten sich nicht danach. Wenn Sie diese Ansprüche
auf andere Menschen projizieren, entstehen Autoritätskonflikte: Sie haben dann den Eindruck, man erwartet zu viel von Ihnen
und lehnen sich gegen die mutmaßlichen Träger dieser Erwartung auf.
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Helmut in seinem Büro erlebt die gegenwärtigen Konflikte mit seinem Chef wie die Probleme der frühen Kindheit. Damals wurde
von ihm verlangt, pünktlich, zu geregelten Zeiten, sein Geschäft zu verrichten. Helmut saß da und presste, aber es kam nichts
dabei heraus. Seine Mutter bestand darauf, dass er so lange sitzen bleiben musste, bis er einen Erfolg vorzuweisen hatte.
Sie holte ihn in die Küche und behielt ihn dort unter Kontrolle. Wenn er ihrer Meinung nach zu lange »verstopft« war, half
sie mit abführenden Mitteln nach. Heute sieht Helmut seinen Chef in der Rolle der Mutter, die ihn quält. Er fühlt den alten
Kampfgeist und den Widerstand von damals, den er jetzt allerdings viel besser ausleben kann, denn sein Chef kann ihn weniger
kontrollieren, als es seiner Mutter möglich war. Aber wie damals kommt er mit seiner Arbeit nicht in Fluss, sondern es tröpfelt
vor sich hin. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich die großen Haufen der Akten und Briefe, was große Leistungen signalisiert
– solange man nicht weiß, dass es sich dabei ausschließlich um den Posteingang handelt. Manchmal wünscht er sich eine Pille,
die ihm helfen würde, alles in einem Rutsch zu erledigen.
Als Mensch mit einer zwanghaft akzentuierten Persönlichkeitsstruktur wehren Sie sich in doppelter Frontstellung nicht nur
gegen verinnerlichte Ge- und Verbote, sondern auch gegen Ihre spontanen Gefühle und Impulse. Dabei könnten diese und Ihre
Fantasie ein Gegengewicht zu den übertriebenen Kontrollansprüche bilden. »Aber man kann doch nicht einfach in den Tag hinein
leben«, sagen Sie. Ironischerweise leben Sie mit Ihrem Aufschieben eigentlich genau so, aber ohne es zu genießen.
Als jemand, der aufschiebt, erleben Sie häufig
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