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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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im ersten Spiel vom Brett, dass ihm Hören und Sehen verging. Da half auch
sein ständiges Herumfingern an den Metallstiften nicht. Am Ende traf er vor
lauter Nervosität nicht einmal mehr den Knopf der Schachuhr.
    »Mit Red Bull würd ich ganz anders spielen«, meinte er. »Aber
das kriegste hier ja nich. Eine Dose Red Bull, und du würdst kein Land sehn,
ehrlich nich.«
    »Bestimmt nich«, sagte ich gönnerhaft und leerte meine
Bierflasche. Leander nickte anerkennend.
    Nebenan hatte Herbert überraschenderweise Mühe mit seinem
Erstrundengegner. Tischfußball-Kurt, sonst Kanonenfutter für jeden, der
leidlich Schach spielt, schien sich eine Red-Bull-Infusion gelegt zu haben.
Während seine Gesichtsmuskulatur in sämtliche Himmelsrichtungen zuckte,
gelangen ihm sensationelle Züge.
    »Brillant, Kurti«, lobte ich. »So hab ich dich noch nie
spielen sehen.«
    »Schnauze!«, zischte er. »Muss mich kontrenzieren. Konzer…«
    »Kondensieren«, half Leander höflich.
    »Maul da drüben!«
    »Kurti ist gedopt«, seufzte der schöne Herbert und schüttelte
den Kopf. »Macht auf Ulle. Randvoll mit Stoff.«
    In diesem Moment betrat der Kampfhund den Englischen Jäger .
    Seine Ankunft war ein Ereignis. Niemand sprang auf, niemand
zeigte mit dem Finger auf ihn. Aber das Mikroklima der Kneipe kippte
schlagartig. Blicke flogen hin und her, Gespräche wurden eine Nuance
verhaltener geführt, unwillkürlich duckte man sich etwas tiefer über sein Glas.
Hast du den Typen gesehen? Denkst du auch, was ich denke? Das waren die Fragen,
die unausgesprochen über den Tischen kreisten.
    Sorgwitz hatte die Hände in den Taschen seines langen Mantels
vergraben und schaute sich herausfordernd um. Ein Kaugummi wanderte durch die
Abgründe seiner Mundhöhle. Langsam durchquerte er den Gastraum und stellte sich
an Marias Tresen. Die kahlköpfige Wirtin fuhr fort, Geschirr abzutrocknen.
Schweigend. Dass sich die Polizei in ihrer Kneipe einfand, konnte alles
Mögliche bedeuten, nur nichts Gutes. Es gab Beschwerden wegen nächtlicher
Ruhestörung, regelmäßig las die Müllabfuhr schlummernde Gäste vor der Tür des Englischen
Jägers auf, dann wieder störte man sich an ihrem Nichtraucherzimmer, einer
Abstellkammer neben den Toiletten. Als Herbert einmal sauer auf Maria war,
behauptete er, ein Teil seines italienischen Salats habe sich selbstständig und
auf den Weg ins Freie gemacht. Anstatt den Nörgler rauszuschmeißen, servierte
sie ihm einen neuen Salat, extragroß und extralecker, da war jedes Salatblatt
einzeln abgeschrubbt. Und dass ihr versehentlich eine von den superscharfen
Peperoni darunter geriet, war sicher keine Absicht.
    Jedenfalls hatte Maria allen Grund, auf Scherereien gefasst
zu sein, sobald Herr Sorgwitz ihre Kneipe betrat. Wortlos schob sie ihm ein
Weizenbierglas und eine Flasche hin. Der Kampfhund nahm beides ebenso wortlos
entgegen. Dabei sah er sich um. Seine Blicke wanderten von Gast zu Gast,
während seine Zähne den armen Kaugummi misshandelten. Jeder im Englischen
Jäger wurde fixiert, registriert, zu den inneren Akten gelegt. Eine neue
Art der erkennungsdienstlichen Behandlung.
    Irgendwann war die Reihe an mir. Ich verschränkte die Arme
hinter dem Kopf, streckte die Beine aus und hielt seinem Blick stand. Keine
Reaktion. Sorgwitz musterte mich wie jeden anderen im Raum. Dann wandte er sich
ab, um sich seinem Weizenbier zu widmen.
    »Das da ist entweder ein Bulle«, murmelte Herbert neben mir,
»oder der Bodyguard vom Hausbesitzer. Bei solchen Typen fängt mein Arm sofort
an zu zucken.« Er nickte nach rechts, wo ihm seit dem Blindgängerfund von 1948
nur noch ein Stumpf aus der Schulter ragte.
    »Was? Wer?«, fragte Tischfußball-Kurt. Er saß mit dem Rücken
zum Eingang und war in all seiner Konzentration der Einzige, der nichts
mitbekommen hatte. Als er uns zum Tresen blicken sah, wandte er sich um. »Was
will denn der hier?«, begann er zu fluchen. »Hat man nirgendwo mehr seine
Ruhe?« Er schüttelte den Kopf, trank energisch seinen Saft aus und zog einen
Läufer über das gesamte Feld.
    »Sieht nach Unentschieden aus«, sagte Herbert.
    »Quatsch!«, riefen Kurt und ich wie aus einem Mund. Herbert
war in der Defensive. Er hatte beide Läufer verloren und war in seinen
Bewegungen eingeschränkt. Kurt musste den Sack nur noch zumachen. Eine Sache
von drei, vier Routinezügen.
    Leider gelangen ihm die nicht. Er wurde hektisch, entschied
sich für ein sinnloses

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