Schlussblende
Swindon, übernachten, dann quer rüber nach Grantham. Am folgenden Tag ein Zwischenstopp in Leeds, um Tony zu berichten, und dann nach Sunderland, dem letzten Ziel.
Hört sich an wie aus dem Drehbuch für ein Road-Movie, dachte Kay, während sie sich durch das Geflecht von Schnellstraßen lavierte, das England überzieht. Ihr fiel auf, daß alle Zielorte in der Nähe von Schnellstraßen oder anderen Hauptverkehrsadern lagen. Wohin sie auch kam, überall empfing sie die grelle Neonreklame von Tankstellen mit eigenem Fast-food-Lokal. Hatte Vance diese Punkte ausgewählt, weil seine Opfer da am ehesten eine Chance hatten, per Anhalter weiterzukommen?
Leider das einzige, was ich in zwei Tagen herausgefunden habe, dachte sie grimmig. Das und so etwas wie eine vage Bestätigung dafür, daß es sich bei den sieben Mädchen den übereinstimmenden Merkmalen nach im kriminaltechnischen Sinn um eine Gruppe handelte. Die Gespräche mit den Eltern waren eher bedrückend ähnlich verlaufen und hatten keine neuen Erkenntnisse gebracht, schon gar nicht über Vance. Auch die Freundinnen der vermißten Mädchen hatten ihr nicht viel sagen können. Dabei war Kay genau der Typ, dem die Leute etwas erzählten. Ihr mäuschenhaftes Auftreten weckte bei Frauen schwesterliche Gefühle und bei Männern Beschützerinstinkte. Nein, die, mit denen sie gesprochen hatte, wollten ihr nichts verschweigen, sie wußten einfach nichts. Ja, die vermißten Mädchen hätten für Jacko geschwärmt und seien, wenn’s irgendwie ging, zu seinen persönlichen Auftritten in der näheren Umgebung gefahren, und sie seien alle immer noch so erschüttert über das spurlose Verschwinden – aber das war’s dann auch schon.
Als sie Grantham erreichte, war Kay auf ihren inneren Autopiloten angewiesen. Zwei Nächte in zu weichen Motelbetten, im Hintergrund das beständige Rauschen des nächtlichen Straßenverkehrs waren eben nicht die ideale Vorbereitung für eine Befragung. Aber, rief sie sich zur Ordnung, während sie noch mal herzhaft gähnte, ehe sie die Türklingel drückte, allemal besser als gar kein Schlaf.
Kenny und Denise Burton schienen von Kays Müdigkeit nichts zu merken. Es war jetzt zwei Jahre, sieben Monate und drei Tage her, seit ihre Stacey das Haus verlassen und nie zurückgekommen war, und seither hatten sie selbst keine Nacht durchgeschlafen. Sie sahen wie Zwillinge aus, beide klein, mit ungesund blassem Teint und kurzen, pummeligen Fingern. Beim Blick auf die Fotos ihrer hübschen schlanken Tochter konnte man Zweifel an sämtlichen genetischen Lehrsätzen bekommen. Das Wohnzimmer hätte aus einer Ausstellung stammen können, das Musterbeispiel für einen Raum, in dem alles ordentlich und aufgeräumt wirkte, alle Kissen den Knick an der richtigen Stelle hatten und sogar die Scheite im Kamin exakt auf die Länge von fünfundzwanzig Zentimetern geschnitten waren. Es war kein Wunder, daß es Stacey in die Freiheit der großen weiten Welt gezogen hatte.
»Sie war ein so liebes Mädchen«, sagte Denise wehmütig. Eine Bemerkung, die Kay nicht mehr hören konnte, weil sie offenbarte, wie wenig Mütter von ihren flügge gewordenen Töchtern wußten, und weil sie Kay an ihre eigene Mutter erinnerte.
»Nicht wie manche anderen«, sagte Kenny düster. »Wenn sie um zehn zu Hause sein sollte, war sie um zehn da.«
»Freiwillig wär sie nie weggegangen.« Auch ein Satz, den Kay inzwischen auswendig kannte. »Sie hatte auch keinen Grund dazu. Sie muß entführt worden sein, es kann gar nicht anders sein.«
Kay hütete sich, Denise Burton zu widersprechen. »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen. Über die letzten Tage vor Staceys Verschwinden«, sagte sie. »Hat sie in der Woche irgendwann das Haus verlassen? Abgesehen vom Besuch der Schule.«
Kenny und Denise mußten nicht nachdenken. Ihre Antworten kamen wie die Aufschläge beim Ping-Pong-Spiel, immer abwechselnd.
»Sie war im Kino.«
»Mit Kerry.«
»Am Wochenende vor der Entführung.«
»Tom Cruise.«
»Tom Cruise mag sie besonders.« Das trotzige Präsens.
»Am Montag ist sie auch ausgegangen.«
»Eigentlich hätten wir ihr das in der Woche nicht erlaubt.«
»Aber das war ein besonderer Anlaß.«
»Jacko Vance.«
»Ihr Idol.«
»Hat einen Fun-Pub in der Stadt eröffnet.«
»Normalerweise hätten wir ihr nicht erlaubt, in einen Pub zu gehen.«
»Aber Kerrys Mutter hat sie mitgenommen. Da dachten wir, daß es in Ordnung wäre.«
»War’s ja auch.«
»Sie kam pünktlich
Weitere Kostenlose Bücher